Ohne Forschung keine erfolgreiche Renaturierung

Auf Blühstreifen am Feldrand kehren die Bestäuberinsekten zurück, Bild: Pixabay, CCO

Die neue EU-Renaturierungsverordnung markiert einen wichtigen Schritt, um Europas Natur wieder ins Gleichgewicht zu bringen [1]. Ziel ist es, geschädigte Ökosysteme zu regenerieren und damit die biologische Vielfalt zu stärken. Denn über Jahrzehnte haben menschliche Eingriffe ihre Spuren hinterlassen: Moore wurden entwässert, Flüsse begradigt, Wiesen überdüngt, Wälder gerodet. Zahlreiche Pflanzen- und Tierarten, die früher in diesen Lebensräumen selbstverständlich waren, sind dadurch verschwunden. Das führt nicht nur zu einem Verlust an Arten, sondern destabilisiert auch das empfindliche Gleichgewicht der Ökosysteme.

Die Verordnung verpflichtet die EU-Mitgliedsstaaten, Lebensräume, die stark verändert oder zerstört wurden, wiederherzustellen. Fachleute sprechen von „Renaturierung“ – einem Prozess, der darauf abzielt, Lebensräume so zu gestalten, dass sich ihre Ökosysteme mit ihrer Artenvielfalt langfristig selbst erhalten können [2].   

Die EU-Renaturierungsverordnung

Aktuell sind 81 Prozent der ökologischen Schutzgebiete der EU in einem schlechten Zustand. Sie wurden Anfang der 1990er-Jahre auf Grundlage der Vogelschutzrichtlinie (2009/147/EG) und der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (92/43/EWG) geschaffen [3]. Ziel dieser Schutzgebiete, die unter dem Namen „Natura 2000“ zusammengefasst sind, ist der Erhalt oder die Wiederherstellung eines günstigen Zustands bedrohter Arten und Lebensräume von europäischem Interesse.

Mit der neuen, 2024 in Kraft getretenen Renaturierungsverordnung verpflichtet sich die EU, den ökologischen Zustand von mindestens 20 Prozent der unter Schutz stehenden Landes-, Meeres und Süßwasserflächen bis 2030 durch Renaturierungsmaßnahmen zu verbessern bzw. wiederherzustellen. Bis 2040 sollen mindestens 60% der Gesamtfläche aller Lebensraumtypen, die sich nicht in gutem Zustand befinden, renaturiert worden sein und bis 2050 mindestens 90% der Flächen. Sobald ein Gebiet in einem guten Zustand ist, müssen die EU-Länder zudem sicherstellen, dass sich sein Zustand nicht wesentlich verschlechtert.[4]

In der Praxis werden Moore wieder unter Wasser gesetzt, wodurch sich Amphibien und Libellen rasch vermehren können. Flüsse werden von Barrieren befreit und zu naturnahen Strömen umgestaltet, in denen Fische und andere Organismen neue Lebensräume finden. Felder werden durch Hecken, Brachland und Blühstreifen ökologisch aufgewertet, indem sich dort Insekten und Vögel ansiedeln. Wälder werden mit einer größeren Vielfalt von heimischen Baumarten bepflanzt, sodass Insekten, Pilze und Vögel bessere Lebensbedingungen haben. Auch in Städten sollen durch mehr Grünflächen in Parks und Gärten sowie durch das Pflanzen von Stadtbäumen neue Lebensräume für Vögel, Insekten und Pflanzen entstehen.[5]

Renaturierungsmaßnahmen zeigen häufig bereits nach wenigen Jahren Wirkung: In wiederhergestellten Lebensräumen kehren Arten zurück und Ökosysteme stabilisieren sich wieder. Die EU-Renaturierungsverordnung ist damit nicht nur ein politisches Instrument, sondern ein praxisorientierter Ansatz, um die Funktionsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit europäischer Ökosysteme langfristig zu sichern – mit Nutzen für die Natur, den Menschen und die EU gleichermaßen.

Wo noch Wissenslücken bestehen

Für die praktische Umsetzung fehlen jedoch in vielen Bereichen noch verlässliche wissenschaftliche Grundlagen. Diese Wissens- und Datenlücken erschweren es, Maßnahmen zielgerichtet zu planen, ihre Wirksamkeit zu bewerten und Fortschritte messbar zu machen. Konkret fehlt es an Daten und Informationen über spezifische Ökosysteme, über deren Populationsprognosen und ökologischen Vernetzung sowie Wirkung von Renaturierungsmaßnahmen und sozio-ökonomischen Folgen in renaturierten Lebensräumen. Spezifische Lücken sind (siehe [6]):

(1) Daten über den Zustand der Ökosysteme. In zahlreichen Regionen Europas liegen bis heute keine ausreichenden Daten zum aktuellen Zustand der Ökosysteme vor. Besonders Feuchtgebiete, dynamische Küstenbereiche und Böden sind oft punktuell oder unregelmäßig erfasst: Messdaten fehlen, Erhebungen sind unregelmäßig, Monitoringprogramme oft lückenhaft. Schon während der Verhandlungen räumte der Europäische Rat ein, dass diese Defizite die Umsetzung erschweren [7]. Forschungsinstitutionen fordern ein systematisches, langfristiges Monitoring, um Veränderungen zuverlässig dokumentieren zu können (z.B. [8]). Parallel wird diskutiert, wie nationale Umsetzungspläne auch unter unsicheren Datenbedingungen realisiert werden können [9].

(2) Daten über die ökologische Vernetzung zwischen Lebensräumen. Ein weiterer Engpass betrifft die Datengrundlage zur ökologischen Vernetzung. Fehlende Korridore und fragmentierte Landschaften behindern Wanderbewegungen, genetischen Austausch und damit die Anpassungsfähigkeit vieler Arten an den Klimawandel [10]. Zwar gibt es Initiativen, ökologische Netzwerke grenzüberschreitend zu kartieren, doch die vorhandenen Daten reichen selten aus, um Schutzgebiete effektiv zu verbinden [11, 12]. Unterschiedliche nationale Datenstandards und Modellansätze erschweren die Vergleichbarkeit zusätzlich [13].

(3) Bewertung der Wirksamkeit einzelner Renaturierungsmaßnahmen über lange Zeiträume. Zahlreiche Studien zeigen, dass Renaturierung positive Effekte auf Biodiversität und Ökosystemleistungen hat [14]. Diese Effekte variieren jedoch stark je nach Maßnahme, Standort und Zeitrahmen. Es fehlt bislang an langfristigen, vergleichbaren Indikatoren, um die Wirksamkeit einzelner Ansätze über Jahrzehnte hinweg bewerten zu können. Solche Daten sind entscheidend, um kurzfristige Erfolge von nachhaltigen Entwicklungen zu unterscheiden.

(4) Prognosen zu langfristigen Populationsdynamiken. Die Reaktion von Tier- und Pflanzenpopulationen auf Umweltveränderungen ist komplex und nicht linear. Kurzfristige Beobachtungen können zu Fehleinschätzungen führen, da extreme Ereignisse oder regionale Unterschiede langfristige Trends überlagern können [15]. Verlässliche Prognosen erfordern daher kontinuierliche Datenerhebungen über längere Zeiträume.

(5) Sozio-ökonomische Folgen und partizipative Teilhabe. Renaturierung ist nicht allein eine ökologische, sondern auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Viele Renaturierungsmaßnahmen scheitern an wirtschaftlichen Interessenkonflikten, unklaren Zuständigkeiten oder fehlender Akzeptanz in der Bevölkerung [16]. Forschungsbedarf besteht insbesondere bei belastbaren Modellen, wie Kosten und Nutzen verteilt werden können, oder wie Beteiligung vor Ort gelingen kann, etwa in der Landwirtschaft oder im städtischen Raum.

Fazit: Vielfalt braucht Wissen – und Mut zur Umsetzung

Renaturierung kann Lebensräume wiederherstellen, Arten schützen und die Widerstandsfähigkeit Europas gegenüber der Klimakrise erhöhen. Die Renaturierungsverordnung gibt dafür einen politisch verbindlichen Rahmen vor. Damit die geplanten Ziele in die praktische Umsetzung kommen, sind jedoch belastbare Daten, ein langfristiges Monitoring und eine enge Zusammenarbeit von Politik, Wissenschaft und Praxis notwendig. Forschung liefert die Grundlage, um Maßnahmen zielgerichtet, effizient und überprüfbar umzusetzen – und um sicherzustellen, dass Renaturierung langfristig Wirkung entfaltet.

ip, 22.12.2025


Quellenangaben

[1] European Commission. Nature Restoration Regulation: Supporting the restoration of ecosystems for people, the climate and the planet. [Internet]. No date (a). Available from: https://environment.ec.europa.eu/topics/nature-and-biodiversity/nature-restoration-regulation_en

[2] Funk ACES Library. Ecological Restoration: Research guide about ecological restoration. University of Illinois; 2025. Available from: https://guides.library.illinois.edu/ecologicalrestoration

[3] European Commission. Natura 2000: The largest network of protected areas in the world. [Internet]. No date (b). Available from: https://environment.ec.europa.eu/topics/nature-and-biodiversity/natura-2000_en?prefLang=de

[4] Renaturierungsgesetz.at. Das Gesetz. [Internet]. No date. Available from: https://www.renaturierungsgesetz.at/das-gesetz/

[5] Benayas JMR, Newton AC, Diaz A, Bullock JM. Enhancement of biodiversity and ecosystem services by ecological restoration: a meta-analysis. Science. 2009;325(5944):1121–4.

[6] Ockendon N, Thomas DHL, Cortina J, et al. One hundred priority questions for landscape restoration in Europe. Biol Conserv. 2018;221:198–208. doi:10.1016/j.biocon.2018.03.002.

[7] European Council. Council reaches agreement on the nature restoration law. Press release; 2023 Jun 20. Available from: https://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2023/06/20/council-reaches-agreement-on-the-nature-restoration-law/

[8] Convention on Wetlands. Global Wetland Outlook 2025: Valuing, conserving, restoring and financing wetlands. Gland (Switzerland): Ramsar Convention Secretariat; 2025. Available from: https://www.ramsar.org/sites/default/files/2025-09/GWO2025_Eng_Rev.1.pdf

[9] National Committee of the Netherlands. Wetland restoration as no-regret intervention: Taking action despite knowledge gaps. [Internet]. No date. Available from: https://www.iucn.nl/en/publication/wetland-restoration-as-no-regret-intervention-taking-action-despite-knowledge-gaps/

[10] Damarad T, Bekker GJ. COST 341 – Habitat Fragmentation due to Transportation Infrastructure: Findings of the COST Action. Brussels: European Cooperation in Science and Technology; 2003. Available from: https://www.iene.info/content/uploads/2013/10/COST341_final_report.pdf

[11] Laner P, Favilli F. Report on ecological connectivity assessment: Evaluations for the project area and transboundary pilot regions. EU Interreg Adrion – DINALPCONNECT project; 2022. Available from: https://dinalpconnect.adrioninterreg.eu/wp-content/uploads/2022/05/Deliverable-T1.3.1-Report-on-ecological-connectivity-assessment_compressed.pdf

[12] Estreguil C, Dige G, Kleeschulte S, Carrao H, Raynal J, Teller A. Strategic Green Infrastructure and Ecosystem Restoration: Geospatial methods, data and tools. Luxembourg: Publications Office of the European Union; 2019. EUR 29449 EN. doi:10.2760/06072.

[13] Martínez-Richart AI, Zolles A, Oettel J, et al. A review of structural and functional connectivity studies in European forests. Landsc Ecol. 2025;40(10). doi:10.1007/s10980-024-02028-2.

[14] Atkinson J, Brudvig LA, Mallen-Cooper M, Nakagawa S, Moles AT, Bonser SP. Terrestrial ecosystem restoration increases biodiversity and reduces its variability, but not to reference levels: A global meta-analysis. Ecol Lett. 2022 Jul;25(7):1725–37. doi:10.1111/ele.14025.

[15] Murphy SJ, Jarzyna MA. Spatial and temporal non-stationarity in long-term population dynamics of over-wintering birds of North America. Ecol Evol. 2023;13(3):e9781. doi:10.1002/ece3.9781.

[16] Cortina J, García-Sánchez I, Grace M, et al. Barriers to ecological restoration in Europe: expert perspectives. Restor Ecol. 2021;29:e13346. doi:10.1111/rec.13346.