Die neue EU-Renaturierungsverordnung ist das erste europaweite Gesetz, das die Wiederherstellung geschädigter Lebensräume verbindlich vorschreibt – ein Meilenstein im Kampf gegen den Verlust der Artenvielfalt von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen. Denn die EU steht vor einer gewaltigen Aufgabe: Rund 80 Prozent unionsrechtlich geschützter Lebensräume geht es denkbar schlecht. Weil Moore trockengelegt, Flüsse begradigt, Wiesen überdüngt und Wälder abgeholzt wurden, sind viele Pflanzen- und Tierarten verschwunden, die dort einst vorkamen. Die biologische Vielfalt nimmt seit Jahrzehnten dramatisch ab – und mit ihr das empfindliche Gleichgewicht der Ökosysteme. Das neue EU-Renaturierungsgesetz („Nature Restoration Regulation“)[1] soll diese Entwicklung umkehren und Lebensräume für Flora und Fauna – und den Menschen – wieder lebenswert machen.
Renaturierung: Lebensräume wieder lebendig machen
Doch was steckt hinter diesem Begriff, der auch in den Medien immer wieder auftaucht? Renaturierung bedeutet, natürliche Lebensräume wiederherzustellen, die durch menschliche Nutzung stark verändert oder zerstört wurden. Statt die Natur weiter zurückzudrängen, geht es also darum, ihr Raum zu geben, damit sich Ökosysteme mit ihrer Artenvielfalt wieder selbst erhalten können.[2]
In der Praxis heißt das zum Beispiel: Moore werden wieder unter Wasser gesetzt, Wälder in vielfältige Mischwälder verwandelt oder Flüsse wieder in durchgängige Lebensräume zurückgeführt. Solche Maßnahmen zeigen oft rasch Wirkung: Wo Wasser zurückkehrt, siedeln sich Libellen und Amphibien an; wenn Flüsse keine Barrieren haben, entstehen neue Lebensräume für Fische; in artenreichen Wäldern finden Insekten, Vögel und Pilze bessere Bedingungen.[3]
Die Ziele der EU-Renaturierungsverordnung
Aktuell sind 81 Prozent der europäisch geschützten Ökosysteme in einem schlechten Zustand. Mit der Verordnung verpflichtet sich die EU, den ökologischen Zustand von Land-, Meeres- und Süßwasserflächen zu renaturieren. Bis 2030 sollen mindestens 20 Prozent durch Renaturierungsmaßnahmen verbessert bzw. wiederhergestellt werden. Dabei konzentrieren sich die Maßnahmen bis 2030 zunächst auf die schon bestehenden Natura 2000-Schutzgebiete (s. Kasten 1: Natura 2000). Nach Ablauf dieses Zeitraums ist vorgesehen, dass bis 2040 mindestens 60% der Gesamtfläche aller Lebensraumtypen, die sich nicht in gutem Zustand befinden, renaturiert worden sind und bis 2050 mindestens 90% der Flächen. Und: Sobald ein Gebiet in einem guten Zustand ist, müssen die EU-Länder sicherstellen, dass sich sein Zustand nicht wesentlich verschlechtert.[4]
Die Verordnung gilt als zentrales Element des European Green Deal, dem großen Nachhaltigkeitsprogramm der EU. Sie soll nicht nur die Artenvielfalt stärken, sondern auch Böden, Gewässer und Wälder widerstandsfähiger gegen die Folgen der Klimakrise machen [7]. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass intakte Ökosysteme widerstandsfähiger gegen Naturkatastrophen wie Überschwemmungen oder Dürren sind. Und es kommt noch besser: Auenflächen wirken als Puffer bei Starkregen und gesunde Böden, Wälder und Moore können große Mengen des Klima-erwärmenden Kohlenstoffs speichern [8, 9]. Kurzum: Renaturierung stärkt die Artenvielfalt und erhöht gleichzeitig die Resilienz von Landschaften, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen bzw. diese abzumildern.
Investitionen in die Renaturierung zahlen sich aus
Volkswirtschaftlich ist Renaturierung eine der renditestärksten Investitionen: Laut einer Berechnung der Europäischen Kommission bringt jeder heute investierte Euro im Durchschnitt etwa 12 € ökonomischen Nutzen zurück.[10]
Der ökonomische Mehrwert entsteht dabei nicht abstrakt, sondern durch konkrete Effekte: Flussrenaturierung kann ein Vielfaches an späteren Reparatur- und Katastrophenkosten bei Hochwasser einsparen; renaturierte Moore und Auen liefern sauberes Trinkwasser; gesunde Böden halten Wasser besser, sind für die Landwirtschaft fruchtbarer und reduzieren den Bedarf an Dünger. Renaturierung ersetzt damit teure technische Lösungen und wirkt zugleich präventiv gegen künftige Umwelt- und Klimakosten.
Auch für Österreich zeigt die Analyse – laut Umweltbundesamt – dass der bis 2070 erzielte nationale Nutzen etwa zwölfmal höher liegt als die anfallenden Kosten der Wiederherstellung von Ökosystemen [11]. Der ökonomische Mehrwert von Renaturierungist im Folgenden am Beispiel der Donau-Auen nahe Wiens dargestellt (s. Kasten 2):
Renaturierung vor Ort
Die Umsetzung liegt in der Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten. Jedes Land muss bis 1.September 2026 einen nationalen Wiederherstellungsplan vorlegen. Darin wird festgelegt, welche Flächen mit welchen Maßnahmen wiederhergestellt werden sollen, welche Behörden zuständig sind und wie die Fortschritte gemessen werden. Die Fortschritte der Umsetzung müssen regelmäßig an die EU-Kommission gemeldet werden.[13]
Damit die Mitgliedstaaten ihre Wiederherstellungspläne gezielt umsetzen können, nennt die EU-Renaturierungsverordnung konkrete Handlungsfelder.[1] Sie legt fest, welche Arten von Ökosystemen besonders im Fokus stehen und wie Fortschritte gemessen werden sollen:
Artenreiche Wiesen und Äcker: Landwirtschaftlich geprägte Flächen bieten ein großes Potenzial für mehr Artenvielfalt. Die Mitgliedstaaten können dabei aus mehreren Indikatoren wählen, um Erfolge zu dokumentieren. Dazu zählen etwa: eine größere Vielfalt an Schmetterlingen und anderen Insekten, mehr Landschaftselemente mit hoher ökologischer Qualität, wie Hecken, Blühstreifen, Brachland, Teiche oder Feldgehölze, oder ein höherer Anteil an organischem Kohlenstoff im mineralisch ausgelaugten landwirtschaftlichen Flächen, der die Bodenfruchtbarkeit verbessert. Mindestens bei zwei dieser drei Kriterien müssen messbare Fortschritte erzielt werden. Gleichzeitig enthält die Verordnung aber eine Sicherheitsklausel: Wenn Maßnahmen die Ernährungssicherheit gefährden könnten, dürfen sie vorübergehend ausgesetzt werden.
Mehr Moore: Moore gehören zu den wertvollsten, aber auch empfindlichsten Ökosystemen Europas. Bis 2050 sollen 50 Prozent der entwässerten Moorflächen wiederhergestellt werden, wobei mindestens ein Drittel davon wieder vernässt werden muss. Das ist auch aus Sicht des Klimaschutzes bedeutsam, da nasse Moore große Mengen Kohlenstoff speichern und damit die Erderwärmung bremsen. Die Mitwirkung an der Wiedervernässung bleibt jedoch laut Gesetz eine freiwillige Entscheidung der landwirtschaftlichen Betriebe.
Strukturreiche Wälder: Wälder spielen eine zentrale Rolle für Biodiversität und Klimaschutz. Sie speichern Kohlenstoff und bieten Lebensraum für zahlreiche Arten. Etwa 40 Prozent der europäischen Landesfläche ist bewaldet. Bis 2030 sollen sich die Bestände von Waldvögeln deutlich erholen und mehrere ökologische Indikatoren einen positiven Trend zeigen. Dazu gehören unter anderem: stehendes und liegendes Totholz, Baumbestände von unterschiedlichem Alter, bessere Vernetzung der Waldflächen, hohe Anteile heimischer Baumarten, und eine größere Vielfalt an Baumarten insgesamt. Solche strukturreichen Wälder sind widerstandsfähiger gegen Stürme, Schädlinge und Trockenperioden und bieten Lebensraum für zahlreiche Tier- und Pflanzenarten.
Intakte Flüsse: Bis 2030 sollen EU-weit mindestens 25.000 Flusskilometer wieder so umgewandelt werden, dass Wanderbarrieren für Fische und andere Organismen entfernt werden und Flüsse ihre Durchgängigkeit weitestgehend wiedererhalten. Das bedeutet, Barrieren wie Dämme oder Verbauungen werden dort entfernt, wo sie nicht für Energiegewinnung, Schifffahrt, Wasserversorgung oder Hochwasserschutz benötigt werden. Dadurch entstehen wieder freie Fließstrecken, in denen sich Sedimente und Nährstoffe auf natürliche Weise verteilen – eine wichtige Voraussetzung für artenreiche Lebensräume im und am Wasser.
Grüne Städte: Nicht nur in der freien Landschaft, auch in Städten spielt Renaturierung eine Rolle. Sie machen 22 Prozent der europäischen Landfläche aus. Die EU fordert, dass bis 2030 die Gesamtfläche an Stadtgrün und die Baumkronenbedeckung in den Städten nicht weiter abnehmen dürfen. Danach sollen positive Trends erreicht werden, bis das Grün mindestens 45 Prozent der Stadtfläche ausmacht. Mehr Stadtgrün bietet Vögeln, Insekten und Pflanzen wichtige Rückzugsorte, verbessert das Mikroklima, bindet Feinstaub und kühlt an heißen Tagen.
In Österreich zeigt sich der Handlungsbedarf besonders deutlich: Laut Umweltbundesamt befinden sich rund 80 Prozent der durch die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie geschützten Arten und Lebensräume in keinem günstigen Zustand [14]. Mehr als die Hälfte der Fließgewässer verfehlt die EU-Kriterien für einen guten ökologischen Zustand, und der Großteil der noch vorhandenen Moore ist stark beeinträchtigt. Etwa vier Fünftel der ursprünglichen Moorflächen sind bereits verloren, und auch die verbliebenen Flächen leiden unter Entwässerung und Verbauung.
Das österreichische Umweltbundesamt geht davon aus, dass gezielte Renaturierungsmaßnahmen die biologische Vielfalt und Funktionalität der Ökosysteme in Österreich deutlich verbessern können (s. Kasten 3: Ökosysteme im Blick). Allerdings drängt die Zeit: Nur wenn weitere Eingriffe wie Bodenversiegelung und Entwässerung schnell gestoppt werden, lassen sich die Schäden begrenzen.[13]
ip, 18.12.2025
[1] European Commission. Nature Restoration Regulation: Supporting the restoration of ecosystems for people, the climate and the planet. [Internet]. No date (a). Available from: https://environment.ec.europa.eu/topics/nature-and-biodiversity/nature-restoration-regulation_en
[2] Funk ACES Library. Ecological Restoration: Research guide about ecological restoration. University of Illinois; 2025. Available from: https://guides.library.illinois.edu/ecologicalrestoration
[3] Benayas JMR, Newton AC, Diaz A, Bullock JM. Enhancement of biodiversity and ecosystem services by ecological restoration: a meta-analysis. Science. 2009;325(5944):1121–4.
[4] Renaturierungsgesetz.at. Das Gesetz. [Internet]. No date. Available from: https://www.renaturierungsgesetz.at/das-gesetz/
[5] European Commission. Natura 2000: The largest network of protected areas in the world. [Internet]. No date (b). Available from: https://environment.ec.europa.eu/topics/nature-and-biodiversity/natura-2000_en?prefLang=de
[6] Umweltbundesamt. Natura 2000 in Österreich. Wien; 2025. Available from: https://www.umweltbundesamt.at/umweltthemen/naturschutz/schutzgebiete/natura-2000
[7] European Commission. Degraded ecosystems to be restored across Europe as Nature Restoration Law enters into force. Press release, Directorate-General for Environment; 2024 Aug 15. Available from: https://environment.ec.europa.eu/news/nature-restoration-law-enters-force-2024-08-15_en
[8] IPCC. Climate Change and Land: An IPCC Special Report on Climate Change, Desertification, Land Degradation, Sustainable Land Management, Food Security, and Greenhouse Gas Fluxes in Terrestrial Ecosystems. Shukla PR, Skea J, Calvo Buendia E, et al., editors. Geneva: Intergovernmental Panel on Climate Change; 2019. Available from: https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2019/11/SRCCL-Full-Report-Compiled-191128.pdf
[9] NABU (Naturschutzbund Deutschland e.V.). Biodiversität wiederherstellen, Klimaneutralität erreichen: Potenzialräume für die Renaturierung von Ökosystemen in Deutschland. Berlin; 2021. Available from: https://www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/naturschutz/210519-studie-gfn-renaturierungsstudie.pdf
[10] European Commission. Proposal for a Nature Restoration Law – Impact Assessment (KOM (2022) 0304). Brussels; 2022 Jun 22. Available from: https://www.eu.dk/samling/20221/kommissionsforslag/KOM%282022%290304/forslag/1896082/2599039.pdf
[11] Umweltbundesamt. Ökonomischer Nutzen der Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme. Wien; no date (a). Available from: https://www.umweltbundesamt.at/naturschutz/nature-restoration-regulation/oekonomischer-nutzen
[12] Nationalpark Donau Auen [Internet]. No date. Available from: https://www.donauauen.at/
[13] Umweltbundesamt. Verordnung zur Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme. [Internet]. No date (b). Available from: https://www.umweltbundesamt.at/naturschutz/nature-restoration-regulation
[14] Ellmauer T, Igel V, Kudrnovsky H, Moser D, Paternoster D. Monitoring von Lebensraumtypen und Arten von gemeinschaftlicher Bedeutung in Österreich 2016–2018 und Grundlagenerstellung für den Bericht gemäß Art. 17 der FFH-Richtlinie im Jahr 2019. Wien: Umweltbundesamt; 2020. (Reports, Band 0729). Available from: https://www.umweltbundesamt.at/studien-reports/publikationsdetail?pub_id=2364