Das Nervensystem

Visualisierung des komplexen Seestern-Nervensystems , Bild: ©Laurent Formery

Das Nervensystem ist ein wichtiger Bestandteil des menschlichen Organismus und setzt sich aus einem komplexen Netzwerk von Nervenzellen zusammen. Über das Nervensystem nimmt der Körper Reize wahr, verarbeitet sie und sendet Signale weiter. So steuert und koordiniert es den Körper und ist verantwortlich für die Regulation von Wahrnehmung, Bewegung, Gedanken, Emotionen, aber auch von lebenswichtigen Funktionen wie dem Herzschlag oder der Atmung.

Aufbau des Nervensystems

Das Nervensystem des Menschen lässt sich grundsätzlich in zwei Hauptbereiche unterteilen: In das zentrale Nervensystem und das periphere Nervensystem.

Das zentrale Nervensystem gilt als Kontrollzentrum der gesamten Informationsverarbeitung und besteht aus dem Gehirn und dem Rückenmark. Es steuert alle Körperfunktionen und ist für die Verarbeitung und Koordination sämtlicher Reize und Reaktionen verantwortlich. Das Rückenmark liegt im Wirbelkanal der Wirbelsäule und dient als Verbindung zwischen dem Gehirn und dem peripheren Nervensystem. [1] Darüber hinaus kann das Rückenmark auch unabhängig vom Gehirn unbewusste Reflexe auslösen, um schnelle Schutzreaktionen zu ermöglichen. [2]

Das periphere Nervensystem wiederum umfasst alle Nervenbahnen abseits des zentralen Nervensystems. Es überträgt alle Signale aus den Sinnesorganen an das Gehirn und leitet umgekehrt die Befehle vom Gehirn an Muskeln und Organe weiter. Dadurch steht es in enger Verbindung mit dem zentralen Nervensystem und ermöglicht die Kommunikation zwischen den einzelnen Körperregionen. [1]

Aufbau des menschlichen Nervensystems, Bild: erstellt mit Biorender

Zusammenspiel der Nervensysteme

In der Funktion lässt sich das Nervensystem weiter in das somatische und das vegetative (oder autonome) Nervensystem unterteilen.

Das somatische Nervensystem ist für alle bewussten Vorgänge zuständig. Es steuert die Wahrnehmungen von Sinneseindrücken und kontrolliert die Motorik der Skelettmuskulatur.
Im Gegensatz dazu reguliert das vegetative Nervensystem alle unbewussten und auch lebensnotwendigen Tätigkeiten des Körpers, wie zum Beispiel den Herzschlag, das Atmen oder die Verdauung. Dabei kann sich das vegetative Nervensystem rasch an verschiedene Bedingungen anpassen – ist einem Menschen beispielsweise warm, wird die Schweißbildung angeregt, um den Körper abzukühlen. In Stresssituationen versetzt das Nervensystem den Körper in eine höhere Leistungsbereitschaft, indem zum Beispiel die Herz- und Atemfrequenz erhöht wird und der Blutdruck steigt. Genauso wichtig ist es aber auch, den Körper wieder zur Ruhe und in einen entspannten Zustand zu bringen. Geregelt wird dies durch die zwei Gegenspieler Sympathikus und Parasympathikus. [3]

Vom Reiz zur Reaktion

Die Reizübertragung zwischen den Nervenzellen ist die Grundlage der Informationsweitergabe im gesamten Nervensystem.
Sie startet bei den Sinneszellen, welche Reize wahrnehmen:
Greift man beispielsweise auf eine heiße Oberfläche, wird diese Information von den Sinneszellen in den Fingern aufgenommen und in ein elektrisches Signal umgewandelt. Dieses elektrische Signal kann dann an die Dendriten der Nervenzellen weitergeleitet werden. Dendriten sind dünne, verzweigte Fortsätze von Neuronen, welche die Signale aufnehmen.

Weiters werden die Signale dann an das Axon weitergeleitet. Dort muss der Reiz stark genug sein, eine bestimmte Schwelle zu überschreiten. Erst dann entsteht ein sogenanntes Aktionspotenzial – eine Spannungsänderung in der Zelle, die die Weiterleitung des Reizes über das Axon ermöglicht. Mit dieser Schwelle soll eine Reizüberflutung des Nervensystems verhindert werden.
Viele Axone sind zusätzlich von einer Myelinscheide umhüllt – eine fettreiche Schicht, welche als elektrische Isolation dient. Abschnitte, an denen das Axon nicht von Myelinschichten umhüllt wird, werden als Ranvier‘sche Schnürringe bezeichnet. Entlang des Axons können die elektrischen Signale von einem Schnürring zum nächsten springen und dort neue Aktionspotentiale auslösen. Reguliert wird dies durch Ionenkanäle, welche die Spannungen in den Schnürringen entsprechend ändern. Diese sogenannte saltatorische Erregungsleitung ermöglicht eine deutlich schnellere und effizientere Reizübertragung. [5,6]

Aufbau eriner Nervenzelle, Bild: erstellt von Open Science mit Biorender

Am Ende des Axons wird dann der elektrische Impuls in den Synapsen in ein chemisches Signal umgewandelt – es werden chemische Botenstoffe (Neurotransmitter) ausgeschüttet. Diese Botenstoffe lösen dann ein neues elektrisches Signal in den Dendriten der angrenzenden Nervenzellen aus. Der Vorgang der Informationsübertragung wiederholt sich, bis die Information im Gehirn angelangt. Dort wird die erhaltene Information verarbeitet und ein neues, entsprechendes Signal über die Nervenzellen ausgesendet.
Im oben genannten Beispiel der heißen Oberfläche würde das neue Signal an die Muskelzellen des Armes gerichtet sein, sodass die Hand schnell weggezogen wird.
Das Nervensystem kann auf diese Weise sehr schnell und meist unbewusst reagieren und dadurch den Körper steuern. [5,6]

Synapse: Kontakt zur nächsten Zelle, Bild: erstellt mit Biorender

Neben den Neuronen besteht das Nervensystem außerdem aus den Gliazellen.  Damit sind alle Zelltypen gemeint, die sich unterschiedlich spezialisiert haben und die Nervenzellen in ihrer Funktion unterstützen. Beispielsweise bilden Gliazellen die Myelinschicht um die Axone, versorgen Neuronen mit Nährstoffen oder dienen der Immunabwehr. [5,6]

Wie das Nervensystem lernt

Das Nervensystem ist kein starres System. Es ist in der Lage, sich an Erfahrungen, Lernprozesse oder Verletzungen anzupassen. Diese Fähigkeit wird auch als neuronale Plastizität bezeichnet. Genauer gesagt kommt es dabei zu strukturellen Anpassungen im Gehirn und Veränderungen zwischen Nervenzellen – besonders in den Synapsen. Werden bestimmte Netzwerke wiederholt aktiviert, können sich bestimmte Verbindungen zwischen Nervenzellen verstärken und neue Synapsen bilden. Allerdings können diese auch abgeschwächt werden oder sogar abgebaut werden, wenn sie nicht genutzt werden. Diese Anpassungsfähigkeit ermöglicht es dem Gehirn zu lernen und sich zu erinnern. Auch nach Verletzungen oder Schädigungen bestimmter Hirnareale, kann es durch gezielte Therapien bis zu einem gewissen Grad möglich sein, verlorene Fähigkeiten wieder zu lernen. [7] Hier setzt auch die Forschung an. Eine aktuelle Studie zeigt beispielsweise, dass auch im erwachsenen Gehirn neue Neuronen, vor allem im Hippocampus, gebildet werden können – der Teil des Gehirnes, der für kognitive Flexibilität zuständig ist. Dieses Wissen hilft nicht nur, das Gehirn besser zu verstehen, sondern eröffnet auch neue Möglichkeiten für Therapien von neurologischen Erkrankungen wie Alzheimer oder Depressionen. [8]

Entwicklung unterschiedlicher Nervensysteme

Das Nervensystem des Menschen ist das Ergebnis einer langen evolutionären Entwicklung. Während im Vergleich einfache Lebewesen wie Schwämme kein echtes Nervensystem besitzen, verfügen Nesseltiere (z.B. Quallen) bereits über einfache Nervennetze ohne zentraler Steuerung. [9]

Visualisierung der Geneaktivität bei Seesternen , Bild: ©Laurent Formery

Besonders interessant ist auch das Nervensystem von Stachelhäutern (Echinodermen), zu denen Seesterne, Seeigel und Seegurken gehören. Sie besitzen kein Gehirn, sondern ein dezentral organisiertes Nervensystem. 2023 konnten Forschende erstmals das vollständige Nervensystem von Seesternen sichtbar machen und damit dessen Komplexität zeigen. Zusätzlich wurden mithilfe einer speziellen Analyse die Gene des Fledermaus-Seesterns (Patiria miniata) genauer untersucht und visualisiert. Dabei konnten im gesamten Seestern fast ausschließlich Gene, die mit der Entwicklung des Kopfes in Verbindung stehen, identifiziert werden. Nur an den äußersten Spitzen konnten Genaktivitäten festgestellt werden, die üblicherweise im Rumpf von Lebewesen vorkommen. Aufgrund dieser neuen Erkenntnis kann man den Seestern als Lebewesen bezeichnen, welcher nur aus einem Kopf besteht und so über den Meeresboden krabbelt. [10]

nr, 11.11.2025


Quellenangaben

1. Michael-Titus A, Revest P, Shortland P. ORGANIZATION OF THE NERVOUS SYSTEM. The Nervous System. Published online 2010:1-30. doi:10.1016/B978-0-7020-3373-5.00001-0

2. Stenner MP, Nossa CM, Zaehle T, et al. Prior knowledge changes initial sensory processing in the human spinal cord. Sci Adv. 2025;11(3). doi:10.1126/SCIADV.ADL5602

3. Klimaschewski L. ZNS KOMPENDIUM. Accessed November 3, 2025. https://www.i-med.ac.at/neuroanatomy/

4. Brain Basics: The Life and Death of a Neuron | National Institute of Neurological Disorders and Stroke. Accessed November 3, 2025. https://www.ninds.nih.gov/health-information/public-education/brain-basics/brain-basics-life-and-death-neuron

5. Kandel ER. Nerve cells and behavior. Sci Am. 1970;223(1). doi:10.1038/SCIENTIFICAMERICAN0770-57

6. Dale Purves, George J. Augustine, David Fitzpatrick, et al. Neuroscience. sixth edition. Oxford University Press; 2018. Accessed October 28, 2025. https://www.academia.edu/43014289/Neuroscience_by_Dale_Purves_et_al_eds_z_lib_org_

7. Hübener M, Bonhoeffer T. Neuronal plasticity: Beyond the critical period. Cell. 2014;159(4):727-737. doi:10.1016/J.CELL.2014.10.035/ASSET/A033FC3E-6BAC-437B-887C-38AD06F0EFA5/MAIN.ASSETS/GR2.JPG

8. Dumitru I, Paterlini M, Zamboni M, et al. Identification of proliferating neural progenitors in the adult human hippocampus. Science (1979). 2025;389(6755):58-63. doi:10.1126/SCIENCE.ADU9575/SUPPL_FILE/SCIENCE.ADU9575_TABLES_S1_AND_S2.ZIP

9. Arendt D, Tosches MA, Marlow H. From nerve net to nerve ring, nerve cord and brain — evolution of the nervous system. Nature Reviews Neuroscience 2015 17:1. 2015;17(1):61-72. doi:10.1038/nrn.2015.15

10. Formery L, Peluso P, Kohnle I, et al. Molecular evidence of anteroposterior patterning in adult echinoderms. Nature 2023 623:7987. 2023;623(7987):555-561. doi:10.1038/s41586-023-06669-2