Mendels Erbe: Innovative Ansätze in der Pflanzenforschung

Gregor Mendel forschte mit Erbsenpflanze, in der heutigen Pflanzenforschung sind andere Pflanzen beliebt , Bild: Pixabay, CCO

Erbsenpflanzen dienten Gregor Mendel schon im 19. Jahrhundert als Versuchsobjekte, um die Gesetzmäßigkeiten der Vererbung zu untersuchen. Die Tradition der Pflanzenforschung lebte nach Mendel weiter, und auch heute noch werden wichtige Prozesse und Mechanismen an Pflanzen erforscht. Zum 200. Geburtstag von Gregor Mendel im Jahr 2022 präsentieren wir ein Beispiel aktueller Pflanzenforschung aus Wien.

Der Augustinerpater Gregor Mendel machte sich bereits im 19. Jahrhundert Pflanzen für seine berühmten Kreuzungsversuche zunutze: In akribischer Kleinarbeit untersuchte der junge Mönch die Gesetzmäßigkeiten der Vererbung an rund 30.000 Erbsenpflanzen. Seine genauen Vorbereitungen, das Versuchsdesign und die kontrollierte Durchführung waren wichtige Voraussetzungen, um eindeutige und reproduzierbare Ergebnisse zu erhalten [1]. Anhand seiner Beobachtungen und statistischen Auswertungen erstellte Mendel dann die Mendelschen Regeln, die bis jetzt die Grundlage der Genetik bilden und der Molekularbiologie den Weg bereitet haben. Man weiß mittlerweile jedoch, dass es Ausnahmen von diesen Gesetzmäßigkeiten gibt.

Moderne Pflanzengenetik: Spirituelles Erbe von Mendel

Die Geschichte der molekularen Pflanzenbiologie ist eng mit der Entwicklung einer experimentellen Herangehensweise – also der Durchführung von Versuchen – verbunden. Am Ende des 18. und 19. Jahrhunderts prägte hier die Arbeit einiger Persönlichkeiten die experimentelle Biologie ganz besonders: Lazzaro Spallanzani (1729-1799), John Stuart Mill (1806-1873), Charles Darwin (1809-1882) und Louis Pasteur (1822-1895) ebneten den Weg für Versuche an lebenden Systemen. Diese Pioniere wollten wissen, wodurch das äußerliche Erscheinungsbild ­– der Phänotyp – eines Organismus bestimmt wird [2]. Parallel dazu verfolgten Jean-Baptiste Lamarck (1744-1829), Alfred Wallace (1823-1913) und Darwin eine andere Strategie, um den Zusammenhang zwischen Eigenschaften und genetischer Veranlagung zu verstehen und der Evolutionstheorie einen Rahmen zu geben. Der Ansatz der damaligen Forscher basierte einzig und allein auf Beobachtungen und daraus resultierenden Hypothesen, die seitdem getestet werden – mit immer besseren Hilfsmitteln.

Auch heute noch dienen Pflanzen als wichtige experimentelle Modelle für die Forschung. Die Gartenerbse (Pisum sativum) wurde allerdings im Lauf der Zeit von anderen Pflanzen abgelöst. So stellen aktuell beispielsweise der Mais (Zea mays) oder die Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) beliebte Modellorganismen in der Pflanzengenetik dar.

Wieso Pflanzenforschung?

Menschliches und tierisches Leben auf der Erde ohne Pflanzen wäre nicht möglich, da sie die Grundlage für die Ernährung bilden. Außerdem produzieren Pflanzen Sauerstoff, den die meisten Lebewesen zum Leben benötigen, und nehmen daher in Ökosystemen eine wichtige Rolle ein [3].

Der voranschreitende Klimawandel stört jedoch aktuell das Gleichgewicht vieler Ökosysteme. Daraus resultieren vielerorts Ressourcen-Knappheit und Naturkatastrophen, die jetzt schon in weiten Teilen der Erde spürbar sind. Die langfristigen Folgen für das Leben auf unserem Planeten sind noch nicht absehbar. Eines ist jedoch klar: Für die Zukunft wird es wichtig sein, Nahrungsmittel und Energie nachhaltig zu produzieren, und dafür sind wesentliche Neuerungen und neue Methoden nötig. Hierbei spielt die Grundlagenforschung eine wichtige Rolle: Nur die Kenntnis und das Verständnis von molekularen Abläufen und Mechanismen in Pflanzen ermöglicht auch bahnbrechende Innovationen. Zudem haben die Ergebnisse der Pflanzenforschung oft auch Bedeutung und Gültigkeit für andere Organismen und Gebiete.   

„Nicht-Mendelsche-Genetik“: Epigenetik-Forschung in Wien

Auch in Wien findet Pflanzenforschung auf höchstem Niveau statt: Das im Jahr 2000 gegründete und nach Mendel benannte Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie (GMI) betreibt Spitzenforschung auf dem Gebiet der Pflanzenbiologie. In neun Arbeitsgruppen forschen hier rund 130 Mitarbeiter*innen an den grundlegenden Mechanismen der Epigenetik, Zellbiologie, Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und Krankheitserregern, Entwicklungsbiologie sowie Populationsgenetik. Eine der am GMI tätigen Forscher*innen ist Ortrun Mittelsten Scheid. Die Wissenschaftlerin beschäftigt sich mit ihrer Arbeitsgruppe mit der genetischen und epigenetischen Regulation von pflanzlichen Genen. Beide Regulationsmechanismen bestimmen die Aktivität der Gene und damit die Eigenschaften eines Organismus.

Als Epigenetik wird jenes Teilgebiet der Genetik bezeichnet, das Änderungen des Erbguts untersucht, die nicht auf Veränderungen der DNA Sequenz beruhen und dennoch an Tochterzellen weitergegeben werden können. Die Epigenetik versucht zu erklären, wie im Lauf des Lebens eines Individuums, aber auch in verschiedenen Organen oder Geweben, die Aktivität von Genen variieren kann. Gene können entweder besonders stark oder schwach abgelesen oder im Extremfall komplett stillgelegt werden. Als „epigenetischer Code“ wird eine Regulationsebene über dem Genom bezeichnet, die bestimmt, ob Gene an- oder abgeschaltet sind. So bestimmen spezielle chemische Veränderungen (epigenetische Modifikationen) der DNA und/oder der Proteine, welche die DNA verpacken, ob Gene abgelesen werden oder nicht. Bei Pflanzen können epigenetische Veränderungen beispielsweise zur Adaptierung an die Umwelt – wie etwa an Temperatur – beitragen. Epigenetische Mechanismen können zu Nicht-Mendelscher Vererbung, also zu Abweichungen von den Mendelschen Regeln führen.

Wie die Umwelt Pflanzen über mehrere Generationen verändern kann

Ortrun Mittelsten Scheid und ihr Team untersuchen, wie sich Umweltfaktoren wie Hitze, Licht oder Stress auf die Genexpression der Pflanzen auswirken und ob sie über Generationen weitergegeben werden können. Die Wissenschaftler*innen arbeiten für ihre Versuche mit der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana), einem heute wichtigen Modellorganismus der Pflanzenforschung, aber auch mit neuen Arten wie dem Steintäschel (Aethionema arabicum).

Die Ackerschmalwand ist eine kleine Wildpflanze, die auch in Österreich wächst. Sie ist extrem anpassungsfähig und ein besonders beliebtes Forschungsobjekt in der Pflanzenbiologie. Die Entschlüsselung des Ackerschmalwand-Genoms von vielen verschiedenen Fundorten, an der auch das GMI maßgeblich beteiligt war [4], hat gezeigt, dass sie innerhalb der Art im Verhältnis eine größere genetische Vielfalt besitzt als der Mensch. Darauf aufbauend wird nun auch am GMI weiter erforscht, welche Gene für die Anpassungsfähigkeit der Ackerschmalwand an die Umwelt verantwortlich sind. Interessante Eigenschaften sind beispielsweise der Zeitpunkt, wann die Pflanze blüht, wie tief ihre Wurzeln wachsen, oder ob sie gegen Krankheitserreger widerstandsfähig ist.

Noch etwas anderes macht die Ackerschmalwand interessant für die Forschung: Arabidopsis thaliana ist eine Pflanze, die fünf verschiedene Chromosomen besitzt, die üblicherweise in den Zellen je zweimal vorliegen (diploid). Es gibt jedoch Arabidopsis-Pflanzen, in denen die fünf Chromosomen viermal vorhanden sind (tetraploid). Tetraploide Pflanzen kommen gelegentlich in der Natur vor oder werden gezielt gezüchtet, um beispielsweise den Ertrag zu steigern, z.B. sind die meisten Kartoffelsorten tetraploid, und der Brotweizen hat sogar sechs Chromosomensätze. Bei der Ackerschmalwand wurde ein unerwartetes Phänomen beobachtet, das Mittelsten Scheids Interesse erregte: Manche Gene, die in diploiden Pflanzen abgelesen werden, verlieren in tetraploiden Pflanzen an Aktivität. Diese niedrigere Gen-Expression ist vererbbar: Wenn ein stillgelegtes Gen mit einer aktiven Genkopie in tetraploiden Pflanzen zusammentrifft, schaltet es diese auch ab. Damit verliert die Mendelsche Regel von der unabhängigen Vererbung ihre Gültigkeit in diesem speziellen Fall. Die Forschungsgruppe um Mittelsten Scheid versucht herauszufinden, wie solche Veränderungen entstehen und wie sie aufrechterhalten werden.

Der Klimawandel: Neue Herausforderung für Pflanzen

Mittelsten Scheid und ihr Team hoffen, mit ihren Versuchen neue Erkenntnisse für die Pflanzenforschung, aber auch darüber hinaus gewinnen zu können. Die von ihnen behandelte Fragestellung, welchen bleibenden Einfluss die Umwelt auf die Genexpression von Pflanzen hat, ist heute aktueller denn je: Der voranschreitende Klimawandel bringt auch Pflanzen „zum Schwitzen“. Die Prognosen gehen davon aus, dass Pflanzen langfristig aufgrund von Hitzestress und Wassermangel in höhere, kühlere Lagen „wandern“, wenn der Wind oder Vögel ihre Samen dort verbreiten. Die Problematik dabei: Sie verdrängen dann dort schon vorhandene Pflanzen. Die Biodiversität an vielen Standorten verändert sich definitiv durch den Klimawandel, weil viele Pflanzen nur begrenzt in andere Gebiete ausweichen können. Insofern hat der Klimawandel auch Auswirkungen auf die Artenvielfalt von Wildpflanzen und auf die Anbaumöglichkeiten der Nutzpflanzen. Auf lange Sicht werden sich so jene Pflanzen durchsetzen, die mit steigenden Temperaturen besser zurechtkommen [5].

Man weiß heute, dass Pflanzen bei mildem, kurzem Hitzestress bestimmte Schutzproteine bilden. Bei erneuter stärkerer oder längerer Hitze können die Geneschneller oder stärker reagieren, was bei einigen Pflanzenarten zu einer gewissen Resistenz führt. Diese Anpassung bleibt aber nur für begrenzte Zeit erhalten und wird zumindest nicht dauerhaft an die Nachkommenschaft weitergegeben. Aktuell gibt es noch keine soliden Daten für eine gerichtete und stabile umweltbedingte Anpassung bei Pflanzen. Laut Mittelsten Scheid stehen die Chancen nicht schlecht, dass die Pflanzenforschung auch in den nächsten Jahren ein Forschungsschwerpunkt der Epigenetik bleibt. Pflanzen sind nämlich Meister der epigenetischen Regulation, sie verfügen über viele wichtige epigenetische Mechanismen und haben diese im Lauf der Evolution oft in einem Maße verfeinert und ausgebaut, das bei anderen Lebewesen nicht zu finden ist [6].

Mit der Genschere CRISPR/Cas gegen den Klimawandel?

Eine wichtige Technologie, die dabei helfen könnte, in der Landwirtschaft mit dem Klimawandel besser zurechtzukommen, ist die Anwendung der Genschere CRISPR/Cas (Link einfügen) in der Pflanzenzüchtung. Sie ermöglicht es, genauer und schneller zu arbeiten als mit klassischen Verfahren: mithilfe von CRISPR/Cas kann DNA einfach, schnell und vor allem punktgenau an einer bestimmten Stelle verändert werden. Dies stellt einen klaren Vorteil gegenüber dem traditionellen Einsatz von Chemikalien oder radioaktiver Strahlung zur Erzeugung genetischer Vielfalt dar, da durch diese tausende und zufällig im Genom verteilte Mutationen entstehen. Um daraus die erwünschte Mutation herauszusuchen und von den anderen abzutrennen, muss man die Pflanzen mehrfach auskreuzen, was viele Generationen dauert und wertvolle Zeit, Arbeit und viel Geld kostet.

Mittelsten Scheid war daher auch eine von vielen europäischen Wissenschaftler*innen, die sich gegen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ausgesprochen haben, die Anwendung der Genschere CRISPR/Cas bei Pflanzen unter die strenge Gentechnikverordnung zu stellen. Sie sieht die Genschere als unverzichtbares Werkzeug für präzise und zeitgemäße Pflanzenzüchtung und mit hohem Potential für Verbesserung unserer Nutzpflanzen in Bezug auf Qualität, Resistenz gegen Umweltfaktoren und Schädlinge, Verträglichkeit, Lagerungs- und Verarbeitungseigenschaften. CRISPR-ausgelöste Mutationen sind von traditionell erzeugten Varianten biologisch nicht zu unterscheiden, können aber gezielt, schnell und kontrolliert erhalten werden. Mittelsten Scheid: „Wir sollten aus den Genomen von Wildpflanzen oder gut angepassten lokalen Varianten der Nutzpflanzen lernen, welche Genvarianten für gewünschte Eigenschaften verantwortlich sind und diese dann in Hochleistungssorten nachahmen. CRISPR/Cas ist kein Allheilmittel gegen Klimawandel und Nahrungsmittelknappheit, könnte aber einen wichtigen Beitrag sowohl zu den Zielen nachhaltiger Landwirtschaft als auch zur Erhaltung und Erzeugung von Diversität in Sorten und Produkten leisten.“  

[1] Mittelsten Scheid O. (2022) Mendelian and non-Mendelian genetics in model plants.  The Plant Cell, 26 February 2022

[2] Berger F. (2022) Which field of research would Gregor Mendel choose in the 21st century? The Plant Cell, 03 March 2022

[3] Gregor Mendel Institut (GMI), GMI for Kids: Kein Leben ohne Pflanzen. Warum ist Pflanzenforschung wichtig?

[4] The 1001 Genomes Consortium (2016) 1,135 genomes reveal the global pattern of polymorphism in Arabidopsis thaliana. Cell, Vol. 166 (2), 481-491.

[5] Österreichische Akademie der Wissenschaften: Auch Pflanzen spüren den Klimawandel (2019.)

[6] Bundesministerium für Bildung und Forschung/ Pflanzenforschung.de: Jenseits der Genetik. Das Methylom als „Hypothesen-Generator“ (2016).

 

Wir bedanken uns recht herzlich bei Ortrun Mittelsten Scheid für die Unterstützung bei diesem Artikel!

 

as, 30.06.2022