Cellectric: Auf der Suche nach der Nadel im Heuhaufen

Der elektrische Fingerabdruck von Zellen, Bild: Pixabay, CCO

Die Identifikation von Krankheitserregern ist oft ein zeitintensiver Prozess. Dabei kann gerade bei schweren Infektionskrankheiten eine rasche Diagnose entscheidend für den weiteren Verlauf sein. Das Wiener Startup Cellectric Biosciences setzt genau hier an: Mit der innovativen Technologie gelingt es dem Unternehmen, Krankheitserreger gezielt zu isolieren und damit die Diagnostik erheblich zu beschleunigen.

Das junge Unternehmen Cellectric Biosciences wurde 2021 als AIT-Spinn-off gegründet. Hinter dem Unternehmen steckt eine Technologie, bei welcher die bioelektrischen Eigenschaften von Zellen genutzt werden, um Krankheitserreger von menschlichen Zellen zu unterscheiden und davon abzutrennen.

Versteckte Krankheitserreger sichtbar machen

Diagnosen von Infektionskrankheiten gleichen oft der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Menschliche Zellen in einer entnommenen Blutprobe kann man mit einem olympischen Pool voller roter M&Ms vergleichen. Die möglicherweise darin enthaltenen Krankheitserreger wären in diesem Pool wie ein einziges blaues M&M – und genau dieses gilt es zu finden. In der medizinischen Routine dauert das häufig mehrere Tage, da die Erreger zunächst kultiviert und vermehrt werden müssen, bevor sie mit gängigen Labormethoden (wie PCR oder immer mehr durch Sequenzieren) nachgewiesen werden können.

Um diesen Prozess zu beschleunigen, hat Cellectric eine Technologie entwickelt, bei der die roten M&Ms aus dem Pool entfernt werden und dadurch das eine blaue M&M übrig bleibt. Proben von Patien:innen werden dabei elektromagnetischen Feldern ausgesetzt, wodurch die menschlichen Zellen aufplatzen und aus der Probe entfernt werden. Zurück bleiben intakte Krankheitserreger, wie Bakterien oder Pilze, welche nun wesentlich schneller und zuverlässiger identifiziert werden können.

Die Plattform von Cellectric

Das „Elektrom“

Damit das möglich ist, betrachtet Cellectric Biosciences Zellen nicht nur als chemische oder biologische Kompositionen, sondern rückt ihre elektrischen Eigenschaften in den Fokus. Jede Zelle und jedes Gewebe verfügt über ein charakteristisches elektrisches Profil – das sogenannte „Elektrom“. Dieses ist wie ein einzigartiger, elektronischer Fingerabdruck, der eine zentrale Rolle bei der Steuerung biologischer Prozesse spielt.

Aufgrund dieser elektrischen Eigenschaften lassen sich verschiedene Zelltypen voneinander unterscheiden. Nervenzellen weisen beispielsweise ein charakteristisches elektrisches Muster auf, das sich deutlich von Muskelzellen unterscheidet. Auch Faktoren, wie das Alter von Zellen, beeinflussen dieses Verhalten. Jüngere Zellen, die sich noch oft teilen, zeigen andere elektrische Eigenschaften als ältere, weniger aktive Zellen. Und genauso weisen auch Krankheitserreger, wie Bakterien oder Pilze, einen ganz anderen, individuellen elektrischen Fingerabdruck auf.

Die Plattform in der Anwendung

Auf diesem Verständnis baut die Plattform von Cellectric auf. Das Unternehmen hat spezielle Elektroden entwickelt, die elektromagnetische Felder erzeugen, denen die Patient:innenproben ausgesetzt werden. Die elektromagnetischen Felder beeinflussen das Spannungsverhalten in menschlichen Zellen genau so, dass sie kontrolliert aufplatzen, während Krankheitserreger unversehrt bleiben. Die bisherigen Ergebnisse sind beeindruckend: Die Zahl menschlicher Zellen in den Proben kann um das bis zu 1.000-Fache reduziert werden. Durch die Entfernung der störenden menschlichen Zellen, können Keime schneller und zuverlässiger analysiert werden.

Aktuell wird ein erstes Gerät von Cellectric am Allgemeinen Krankenhaus Wien im Rahmen einer klinischen Studie in der Diagnose von Blutvergiftungen (Sepsis) getestet. In dieser klinischen Studie werden die Ergebnisse der Routineanalysen direkt mit der Technologie von Cellectric verglichen. Dadurch soll zum einen gezeigt werden, wie wertvolle Zeit in der Diagnostik gespart werden kann, aber auch die Zuverlässigkeit des Systems bei der Gewinnung korrekter Ergebnisse getestet werden. Das ist ein wichtiger Schritt zur Zulassung des Gerätes.

Gerade bei ernsten Infektionen wie der Sepsis kann eine frühe Diagnose die Überlebenschancen von Betroffenen deutlich verbessern und das Risiko schwerer Folgekomplikationen – wie beispielsweise Amputationen – verringern. 

Viele Möglichkeiten für die Zukunft

Eine schnellere Identifikation von Bakterien kann zudem einen wichtigen Beitrag im Umgang mit Antibiotikaresistenzen leisten. Da Erreger mit dieser Technologie schneller identifiziert werden, lässt sich auch ihre Empfindlichkeit gegenüber Antibiotika rascher testen. So kann das passende Medikament frühzeitig verabreicht und unnötige Antibiotikagaben möglicherweise reduziert werden.

Neben Blutproben konnte das Unternehmen ebenso zeigen, dass auch andere Körperflüssigkeiten wie Sputum erfolgreich mit der Plattform verarbeitet werden. Aktuell kooperiert das Unternehmen mit mehreren internationalen Partnern, um die Anwendungsgebiete in der Diagnostik auszuweiten.

Die Erforschung des elektrischen Verhaltens von Zellen ist ein relativ neues und wachsendes Forschungsfeld. Man konnte bereits beobachten, dass sich auch kranke, menschliche Zellen wie Krebszellen in ihren elektrischen Eigenschaften von anderen Zellen unterscheiden. Dies könnte ein wichtiger Ansatz in der Krebsforschung sein, da die Isolierung von Krebszellen, die Diagnosen erleichtern könnte. Ein spezielles, vereinfachtes Gerät von Cellectric soll bald eine Zulassung für Forschungszwecke bekommen und ebenso dabei helfen, neue Anwendungsbereiche zu finden.

 

Vielen Dank an den Managing Director Terje Wimberger von Cellectric Biosciences für das spannende, persönliche Gespräch!

nr, 16.12.2025


Quellenangaben

Website von Cellectric Biosciences (November 2025)

Website von Austria Wirtschaftsservice (November 2025)

Website von Österreichischen Forschungsfördergesellschaft (November 2025)

Website von Vienna Business (November 2025)