Dr. Jekyll und Mr. Hyde: Neuer Therapie-Ansatz gegen Krebs von Wiener Start-up

Tobias Suske, Anna Orlova und Christine Ruckenbauer

Tobias Suske, Anna Orlova und Christine Ruckenbauer von RIANA Therapeutics wollen neue Krebsmedikamente entwickeln, Bild: Thomas Suchanek, Vetmeduni

RIANA Therapeutics, ein Spin-off der Veterinärmedizinischen Universität Wien (Vetmeduni) entwickelt innovative Krebsmedikamente. Diese richten sich gezielt gegen krebsfördernde Protein-Protein-Wechselwirkungen.

In Österreich wird jährlich bei mehr als 40.000 Personen Krebs diagnostiziert [1], und die Anzahl der Neuerkrankungen ist steigend: Bis 2030 wird sich laut einer im Auftrag des österreichischen Gesundheitsministeriums erstellten Prognose die Zahl der Krebserkrankungen im Vergleich zu 2014 um 39 % erhöhen [2].

Die aktuell eingesetzten Therapieformen gegen Krebs bringen meist auch unerwünschte Nebenwirkungen mit sich. Ein wichtiges Ziel der aktuellen Arzneimittelforschung ist es daher, spezifischere Therapien und Medikamente gegen Krebs zu entwickeln. Eine bessere Wirksamkeit und weniger unerwünschte Effekte sollen zukünftig die Lebensqualität von Krebspatient:innen verbessern.

Molekularbiologische Therapien im Fokus

Operation, Strahlen- und Chemotherapie, die klassischen Methoden der Krebstherapie, sind zwar in vielen Fällen wirksam, bieten aber vor allem bei fortgeschrittenen Erkrankungen und geschwächten Patient:innen eingeschränkte Möglichkeiten. Außerdem sind sie häufig mit oft sehr schweren Nebenwirkungen verbunden.

Der Fokus der medizinischen Krebsforschung liegt deshalb zunehmend bei der Entwicklung von Therapien, die sich gezielt gegen Krebszellen richten. Diese so genannten molekularbiologischen Therapien werden spezifisch auf die molekularen Eigenschaften der Krebszellen abgestimmt und greifen gesunde Körperzellen kaum bis gar nicht an. Daher werden sie auch als zielgerichtete Therapien ("targeted therapies") bezeichnet. Kommen sie in Frage, wird das Tumorgewebe der erkrankten Person zunächst umfangreichen molekularbiologischen Analysen unterzogen. Je nach Art der genetischen Störung bzw. Mutation, die der Entstehung des Tumors zugrunde liegt, kann dann eine individuelle Strategie für die Behandlung festgelegt werden. Zielgerichtete Therapien sollen so einerseits die Krebszellen wirkungsvoll aufhalten und andererseits zu weniger Nebenwirkungen führen [3].

Protein-Protein-Interaktionen: ein zweischneidiges Schwert

Bei praktisch allen biologischen Prozessen spielen Wechselwirkungen von Proteinen (Eiweißen) untereinander, so genannte Protein-Protein-Interaktionen (PPI), eine Schlüsselrolle. So ist das Aneinanderlagern von Proteinen beispielsweise für Transportfunktionen, das Weiterleiten von Signalen, das Ablesen von Genen oder den Aufbau des Zellskeletts wichtig. Verbinden sich zwei Proteine durch direkten physischen Kontakt, spricht man von einem Dimer. Verbinden sich mehrere Proteine miteinander, handelt es sich um so genannte Oligomere.

Obwohl PPI eine essentielle Rolle in unseren Zellen spielen, gibt es bei ihnen auch eine "Dr. Jekyll und Mr. Hyde"-Problematik: Manche Proteinkomplexe sind als Dimere für den Körper lebenswichtig, stellen als Oligomere aber Onkogene dar. So werden jene Gene bezeichnet, die bei übermäßiger Aktivierung den Übergang von normalem Zellwachstum zu ungebremstem Tumorwachstum unterstützen und so das Entstehen und Fortschreiten von Tumoren fördern.

Ansatz von RIANA Therapeutics: Verhindern von „Mr. Hyde“-Komplexen

Die Schwierigkeit bei Krebserkrankungen, denen solche Proteine zugrunde liegen, liegt auf der Hand: Therapien dürfen selektiv nur die bösartigen „Mr. Hyde“-Komplexe angreifen und deren Bildung verhindern (inhibieren), nicht aber die „Dr. Jekyll“-Formen, da ansonsten möglicherweise auch lebenswichtige Funktionen verloren gehen. Gezielt nur auf diese Dr. Jekyll-Proteine einzuwirken, stellt aktuell eine große Herausforderung in der Arzneimittelforschung dar.

Genau bei dieser Problematik setzt das Wiener Start-up RIANA Therapeutics an: Das Spin-off der Vetmeduni möchte Medikamente entwickeln, die gezielt krebsfördernde Protein-Protein-Wechselwirkungen angreifen. Bisher konnten so genannten Tyrosinkinase-Inhibitoren (kurz TKI, auch Tyrosinkinase-Hemmer genannt) bereits erfolgreich für zielgerichtete Krebstherapien eingesetzt werden. Diese kleinen Proteine können ins Zellinnere eindringen und dort jene Signalwege blockieren (inhibieren, daher auch ihr Name Inhibitoren), die die Zelle für ihr Wachstum benötigt. Der TKI-Therapieansatz ermöglicht es, das Wachstum von Krebszellen und damit auch des Tumors für eine gewisse Zeit aufzuhalten.

RIANA Therapeutics will nun weitere Proteine finden, welche die Bildung von krebsverursachenden PPI verhindern. Dafür bedient sich das Start-up eines vielversprechenden systematischen Testverfahrens, eines so genannten Screening-Systems. „Wir haben ein Testverfahren entwickelt, das eine zuverlässige Suche nach Inhibitoren ermöglicht, welche die Bildung bestimmter krebserregender PPI blockieren,“ so Anna Orlova, ehemalige Krebsforscherin an der Vetmeduni, Co-Gründerin und CEO von RIANA Therapeutics. „Mit unserem Screening-System gelingt es, nur die onkogenen Formen der PPI zu adressieren“, erklärt Richard Moriggl, Leiter der Abteilung für Funktionelle Krebsgenomik der Vetmeduni und Co-Gründer von RIANA Therapeutics den Ansatz des Jungunternehmens.

Forschung der Vetmeduni als Basis für innovative Krebstherapie

Die Entstehungsgeschichte von RIANA Therapeutics geht auf das Jahr 2018 zurück, als Anna Orlova und Richard Moriggl ihr vielversprechendes Forschungsprojekt „STAT5-inhibitors: Targeting STAT5 oligomerization in leukemia“ im Rahmen eines internen Wettbewerbs auf der Vetmeduni präsentierten. Mithilfe einer Förderung der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) konnte Orlova an dem Projekt weiterarbeiten und durchlief über den Wiener Business-Inkubator INiTS ein Trainingsprogramm für künftige Gründer:innen. INiTS ist ein High-Tech Business Inkubator der Stadt Wien, der Start-ups aus Forschung, Technologie und Innovation (FTI) unterstützt.

Nach Zusage weiterer Förderungen gründete Orlova gemeinsam mit Richard Moriggl und Oliver Szolar, welcher bereits Erfahrung mit der Gründung von Biotech Unternehmen hatte, im Februar 2023 das Start-up. Als Spin-off der Vetmeduni nutzt RIANA die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die in Zusammenarbeit mit der Moriggl Forschungsgruppe entdeckt wurden. Mit einem Lizenz- und Kooperationsvertrag sichert sich das junge Unternehmen nun die exklusive und weltweite Nutzung dieser Erkenntnisse zur Entwicklung neuer Krebsmedikamente.

Erste Erfolge: STAT5B als Ziel für Therapien

Mit dem neuartigen Screening-System konnte die Forschungsgruppe um Richard Moriggl an der Vetmeduni bereits erste Erfolge erzielen: Für das Molekül STAT5B – einem so genannten Transkriptionsfaktor, der das Ablesen von Genen reguliert – konnten die Forscher:innen aus einer chemischen Bibliothek mit 90.000 Substanzen mehrere spezifische Inhibitoren finden. Diese verhindern das Entstehen von STAT5B-Oligomeren, den „Mr. Hyde“-Formen dieser Proteine, welche die Entstehung von Lymphomen, Leukämien aber auch soliden Tumoren fördern.

Die STAT5B-Inhibitoren sollen nun von RIANA Therapeutics weiterentwickelt werden. Dazu Anna Orlova: "Die Ausrichtung auf solche onkogenen PPI, wie z.B. die Oligomerisierung von STAT5B, ist ein neuartiger, innovativer Ansatz zur Entdeckung und Entwicklung wirksamer und sicherer Medikamente gegen Blutkrebs und andere Krebsarten. Aufgrund des hochselektiven Therapiemodells erwarten wir für die von uns entwickelten Wirkstoffe deutlich weniger Nebenwirkungen bei gleichzeitiger Beibehaltung einer guten Wirksamkeit."

Das Start-up hat das Ziel, mithilfe des Screens neue Wirkstoffe gegen Akute Myeloische Leukämie (AML), Blutkrebs im Allgemeinen sowie einige solide Tumore zu finden und bis in die frühe klinische Phase zu entwickeln.

 

Näheres zu RIANA Therapeutics:

 

Infos zu den Fördegeber:innen des Jungunternehmens:

as, 30.08.2023


Quellenangaben

Quellen:

[1] Pressemitteilung 12 993-021/23 der Statistik Austria: Krebsneudiagnosen 2020 trotz auffälligem Rückgang im Frühjahr auf dem Niveau der Vorjahre

[2] Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz: Trends der Entwicklung von Krebserkrankungen in Österreich. Eine Prognose bis 2030 (2015).

[3] Onko Internetportal der Deutschen Krebsgesellschaft: Zielgerichtete Krebstherapien. Abgefragt am 21.08.2023

Ansprechpartner:
  • Alexandra Schebesta