Wie der Axolotl Gliedmaßen nachwachsen lässt

Axolotl sind in der Lage Gliedmaßen nachwachsen zu lassen, Bild: Pixabay, CCO

Verlorene Arme und Beine einfach so nachwachsen lassen zu können, klingt nach Science-Fiction: für den Axolotl, einen mexikanischen Schwanzlurch, ist das Alltag. Forscher:innen aus Wien haben nun neue Details entdeckt, wie dieses erstaunliche Tier seine Körperteile erneuert.

Was den Axolotl besonders macht: wenn er ein Bein verliert, wächst es in wenigen Monaten vollständig nach. Dabei werden nicht nur Knochen, sondern auch Muskeln, Nerven, Blutgefäße und Haut ersetzt – und das alles ohne Narben. Diese außergewöhnliche Fähigkeit macht ihn zu einem wertvollen Modellorganismus für die Forschung zur Neubildung von Gewebe – der Regeneration. Besonders spannend: Der Axolotl kann seine Gliedmaßen immer wieder nachwachsen lassen – selbst nach mehreren Amputationen. Das zeigt, wie robust und zuverlässig sein Regenerationssystem ist.

Woher wissen die Zellen, was fehlt?

Seit Jahren rätseln Wissenschaftler:innen, wie der Axolotl das schafft. Um der Antwort näher zu kommen, werden Experimente durchgeführt, bei denen den Tieren Gliedmaßen amputiert werden. An der amputierten Stelle entsteht dann ein Stumpf, aus dem dann die neuen Gliedmaßen herauswachsen und anhand dessen man den Regenerationsprozess erforschen kann. „Die große Frage dabei ist, wie eine Zelle weiß, wo sie sich im nachwachsenden Körperteil befindet und ob sie etwa einen kleinen Finger oder einen Daumen formen soll“, erklärte Elly Tanaka. Elly Tanaka ist eine US-amerikanische Biochemikerin und international führende Expertin auf dem Gebiet der Regenerationsbiologie und seit 2024 wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA) in Wien. Forscher:innen, unter der Leitung von Tanaka haben nun am IMBA einen wichtigen Teil des Rätsels gelöst.  

Hand2: Wo ist hinten und wo vorne?

Sie entdeckten, dass ein bestimmtes Protein namens „Hand2“ nur auf der Rückseite der Gliedmaßen gebildet wird. In der Biologie werden die Begriffe „anterior“ und „posterior“ verwendet, um Positionen im und am Körper zu beschreiben. Anteroir bedeutet „Vorne“ – beim Menschen wäre die Nase anterior. Posterior dagegen bedeutet „hinten“ – beim Menschen liegt der Rücken posterior. Bei den Gliedmaßen der Axolotl ist anterior, wo der „Daumen“ sitzt, posterior ist dort, wo sich der „kleine Finger“ befindet. Das Protein Hand2 kommt in den neu wachsenden Gliedmaßen also nur posterior vor, nicht aber anterior. Dadurch kann Hand2 beeinflussen, ob ein Daumen oder ein kleiner Finger wächst.

Hand2 bietet Orientierungshilfe

Um herauszufinden, welche Gene beim Positionsgedächtnis aktiv sind – also ob ein Daumen oder ein kleiner Finger nachwachsen soll – verwendeten die Forscher genetisch veränderte Axolotl. In diesen Axolotl wurden die Proteine mit fluoreszierenden – leuchtenden – Proteinen markiert, so konnte man herausfinden, wo und wann sich die Proteine in welchen Zellen aufhalten. „Hand2 hat unsere Aufmerksamkeit erregt, weil es an der richtigen Stelle gebildet wird, um als Orientierungshilfe zu dienen“, so Erstautor der Studie, Leo Otsuki.

Eine Daumen-Zelle formt einen kleinen Finger

Ein Schlüsselexperiment war dann die Verpflanzung von anterioren Zellen in die posteriore Region und umgekehrt. Dadurch testeten die Wissenschaftler, ob sich die Zellen durch Signale aus der neuen Umgebung verändern lassen. Tatsächlich konnten anteriore Zellen zu posterioren Zellen umprogrammiert werden.  "Wir konnten also eine Daumen-Zelle dazu bringen, die Zelle eines kleinen Fingers zu formen", so Tanaka.

Nach einer Amputation bilden sich am Stumpf Stammzellen. Diese Zellen können sich in viele verschiedene Zelltypen verwandeln. Sie sind wie kleine Alleskönner, die je nach Bedarf zu Muskel-, Knochen- oder Hautzellen werden. Die Forscher:innen fanden heraus, dass der Axolotl nach einer Verletzung die Produktion bestimmter Gene und Signalstoffe hochfährt, die diesen Prozess steuern.

Das Positionsgedächtnis

Hand2 ist ein sogenannter Transkriptionsfaktor – also ein Protein, das Zellen dabei hilft zu entscheiden, welche Gene gerade ein- oder ausgeschaltet werden. Beim Axolotl wird Hand2 nur in Zellen hergestellt, die sich auf der posterioren Seite der Gliedmaße befinden, also dort, wo der kleine Finger wachsen soll. Hand2 aktiviert das Signalmolekül Shh. Shh sorgt dafür, dass die richtige Seite der Hand, also der kleine Finger, nachwächst.


Abbildung 1. Das Positionsgedächtnis: Die Transkriptionsfaktoren Hand2, Shh und Fgf8 koordinieren einen Teil der Regeneration im Stumpf eines amputierten Beins des Axolotls. , Bild: Open Science – Lebenswissenschaften im Dialog, erstellt mit @BioRender.com

Sobald die Regeneration abgeschlossen ist, wird Shh wieder abgeschaltet – aber Hand2 bleibt aktiv. Das funktioniert wie ein molekulares Gedächtnis: Die hinteren Zellen "merken sich", wo sie hingehören, und können bei einer neuen Verletzung wieder richtig reagieren. Auf der anterioren Seite wird statt Shh das Protein Fgf8 gebildet, was dafür sorgt, dass der Daumen wächst.

Bedeutung für regenerative Medizin

Dieses System zeigt, dass das Positionsgedächtnis gezielt verändert werden kann, was vielversprechend für Gewebezüchtung und regenerative Therapien beim Menschen ist. Wenn man menschliche Zellen mit bestimmten Signalwegen reprogrammieren könnte, könnte man möglicherweise fehlende oder beschädigte Gewebe regenerieren - ähnlich wie beim Axolotl. "Sollte ein ähnliches Positionsgedächtnis in menschlichen Gliedmaßen vorhanden sein, könnten wir diese Signale eines Tages nutzen, um neue Regenerationsfähigkeiten in Gang zu setzen", erklärt Tanaka.

Auch wir Menschen besitzen die Gene, die beim Axolotl für das Nachwachsen verantwortlich sind – allerdings sind sie bei uns meist „abgeschaltet“. Die große Hoffnung der Wissenschaft: Wenn wir verstehen, wie der Axolotl seine Signalwege aktiviert, könnten wir vielleicht eines Tages auch beim Menschen die Selbstheilungskräfte gezielt anregen. Das wäre ein riesiger Fortschritt für die Behandlung von schweren Verletzungen, Unfällen oder bei Krankheiten, bei denen Gewebe zerstört wird.

 

cs, 23.05.2025


Quellenangaben

IMBA Pressemeldung "Hand2: positional code that allows axolotls to regrow limbs found" vom 21.05.2025

APA Pressemeldung "Positionsgedächtnis von Zellen nachwachsender Gliedmaßen gefunden" vom 22.05.2025

Originalpublikation

Otsuki, L., Plattner, S.A., Taniguchi-Sugiura, Y. et al. Molecular basis of positional memory in limb regenerationNature (2025). https://doi.org/10.1038/s41586-025-09036-5