Epigenetik 3: Wie Sport und Ernährung unsere Gene beeinflussen

Sport wirkt sich positiv auf die Genaktivität in Muskelzellen aus, Bild: Pixabay, CCO

Die Epigenetik untersucht, durch welche Mechanismen unsere Gene gezielt an- und abgeschaltet werden. Heute weiß man, dass sowohl Sport als auch Ernährung sich darauf auswirken können. Ein kurzer Überblick zum aktuellen Wissensstand.

Zu einem gewissen Teil liegt Sportlichkeit in den Genen. Doch nicht nur unsere genetischen Voraussetzungen bestimmen, ob wir im Sport zu Champions werden – auch Umwelteinflüsse spielen hier eine Rolle. Heute weiß man beispielsweise, dass Sport unsere Genaktivität beeinflussen und epigenetische Veränderungen in unseren Zellen hervorrufen kann. Es ist auch bekannt, dass die Ernährung die Aktivität unserer Gene beeinflussen kann. Zu welchem Anteil Sportlichkeit tatsächlich durch Genetik festgelegt ist und wie die Umwelt hier hineinspielt, wird aktuell intensiv erforscht [1].

Große Familienstudie zum Sport

Die Tatsache, dass Sport epigenetische Veränderungen hervorrufen kann, hat ein ganz neues Forschungsfeld eröffnet. Eine wichtige Grundlage für die Untersuchung von Epigenetik und Sport wurde mit der „HERITAGE (HEalth, RIsk factors, exercise Training And GEnetics) Family study“ gelegt [2]. Diese groß angelegte Studie startete im Jahr 1992 und wurde bis 2013 durchgeführt. Sie untersuchte zum ersten Mal systematisch, ob die genetische Ausstattung von Individuen einen Effekt auf deren Anpassung an den Sport hat. Es beteiligten sich rund 500 Familien daran, die alle bis dahin sportlich inaktiv waren und sich im Rahmen der Studie 20 Wochen lang Ausdauertraining unterzogen. Dabei wurden die Intensität und die Dauer stetig gesteigert. Es wurde beobachtet, dass viele Personen auf das intensive und anhaltende Training mit Veränderungen ihres Erbguts reagierten. Somit stellte sich die Frage, ob die Genetik Einfluss auf die sportliche Leistungsfähigkeit hat oder nicht und falls ja, welche Gene hier betroffen sind.

Entdeckung des Läufer*innen-Gens

Bei den Proband*innen der Studie wurde schließlich ein Polymorphismus im Alpha-Actinin-3-(ACTN-3)-Gen entdeckt. Dieses ist beim Menschen in Muskelfasern der Skelettmuskulatur zu finden und ausschließlich in weißen Muskelfasern aktiv. Die weißen Muskelfasern sind weniger durchblutet als die roten, ermüden schneller, können aber höhere Kräfte erzeugen. Dies ist sowohl für Kraftsport günstig als auch schnelle Sprints. ACT-3 spielt beim Sport eine wichtige Rolle, da dieses Gen den individuellen Anteil an roten und weißen Muskelfasern festlegt.  Ist ACT-3 in seiner Funktion eingeschränkt, ist das eher ungünstig im Kraftsport und bei Läufern, die schnell volle Leistung bringen müssen. Für den Ausdauersport jedoch scheint das von Vorteil zu sein. ACT-3 ist daher auch als „Läufer-Gen“ bekannt.

Positive Wirkung von Training auf Gene in Muskelzellen

Mit der Veröffentlichung der DNA-Sequenz des Menschen im Rahmen des Human Genome Projects schnellten auch die Publikationen zu epigenetischen Fragestellungen rasant in die Höhe. Es wurden unter anderem auch zahlreiche Studien durchgeführt, die Epigenetik und Sport untersuchten. Diese kamen übereinstimmend zu einem wichtigen Ergebnis: Sportliche Tätigkeit und Training beeinflussen wichtige biologische Prozesse und rufen epigenetische Veränderungen der Muskulatur hervor. Die Methylierung der DNA wird durch Bewegung sowohl hinauf- als auch hinunterreguliert.

In welchen Geweben solche Veränderungen stattfinden und wie lange man dafür trainieren muss, wurde beispielsweise fürs Radfahren untersucht: Hier konnte nachgewiesen werden, dass schon ein einziges Mal Radfahren sich positiv auf das PCG-1-Gen auswirkt, ein Schlüsselmolekül für den Energiemetabolismus [2].

Muskeln haben „Gedächtnis“

Durch Training kann außerdem ein so genanntes „Muskelgedächtnis“ aufgebaut werden. Dies zeigte eine Studie, für die junge Männer zunächst sieben Wochen lang intensiv trainierten, sieben Wochen lang pausierten und danach erneut ein siebenwöchiges Muskeltraining absolvierten [3]. In jeder der drei Phasen ermittelten die Forscher die Muskelmasse und Kraft der Probanden. In der ersten Phase nahmen bei den Männern Masse und Kraft der Muskeln zu, in der Trainingspause ging beides wieder zurück. Das Spannende folgte in der zweiten Trainingsphase: Im Vergleich zum ersten Training legten die Muskeln der Probanden jetzt doppelt so viel an Masse und Kraft zu. Das vorangegangene Training hatte offensichtlich epigenetische Spuren hinterlassen und war den Muskeln im Gedächtnis geblieben. Bei erneutem Sport „erinnerten“ sich die Muskeln daran und sprachen intensiver auf das Training an. Diese Tatsache wird heute für die Vorbereitung auf Operationen genutzt: Gezieltes Training vor der Operation hat den Effekt, dass ein Muskelgedächtnis in Form epigenetischer Modifikationen angelegt wird. Dieses sorgt dafür, dass man nach der längeren OP-bedingten Pause dann schneller wieder fit.

In einer weiteren Studie konnte gezeigt werden, dass sich auch die Muskelzellen von Ungeborenen im Mutterleib sich die sportliche Aktivität ihrer Mütter „merken“: Mehr als 5.000 schwangere Mütter gingen während ihrer Schwangerschaft schwimmen oder walken, und das Aktivitätsniveau ihrer Kinder wurde nach der Geburt weiterverfolgt. Dabei kam heraus, dass die Kinder von sportlichen Müttern auch selbst in ihrer Jugend aktiver waren [4]. Die Rolle der Väter in dieser Hinsicht wird aktuell untersucht.

Sport als Medikament

Wer regelmäßig Sport betreibt, baut Muskelmasse auf und kurbelt dadurch seinen Stoffwechsel an. Durch Training wird außerdem mehr Glukose von den Muskelzellen aufgenommen. Bewegung lässt den Körper sensibler auf manche Prozesse im Körper reagieren – wie etwa auf Insulin, das die Zuckeraufnahme in unsere Zellen steuert. Auch epigenetische Veränderungen finden durch Sport statt, sodass manche Gene häufiger abgelesen werden [5]. All das erklärt, warum sich Sport positiv auf Diabetes auswirken kann. Auch für andere Erkrankungen konnte mittlerweile ein positiver Effekt durch regelmäßige Bewegung gezeigt werden: So etwa verbesserte Sport bei Patient*innen mit Cardio-vaskulären Problemen, Schizophrenie, Bluthochdruck und auch bei Tumorpatient*innen das Krankheitsbild. Es konnte auch gezeigt werden, dass Bewegung präventiv gegen gewisse Krankheiten wirken kann, wie etwa gegen bestimmte Krebsformen.

Wie Ernährung unsere Gene beeinflusst

Wie weitreichend die Auswirkungen von Ernährung sein können, belegt ein Beispiel aus dem Tierreich: Nur eine Biene, die Gelée Royale gefüttert bekommt, wird zur Königin. Mit normaler Pollennahrung bleibt sie eine Arbeiterbiene. Die besonders nährstoffreiche Nahrung sorgt dafür, dass die Königin größer wird als andere Bienen und sich fortpflanzen kann.

Heute weiß man, dass auch beim Menschen die Ernährung Spuren im Erbgut hinterlassen kann. So etwa ist grüner Tee schon lange als Detox und Jungbrunnen bekannt. Beim Aufbrühen seiner unfermentierten Teeblätter löst sich außerdem Epigallocatechin-3-Gallat (EGCG) heraus. Dieses reaktiviert ein Gen, welches zur Bekämpfung von Krebs wichtig ist, bei älteren Menschen aber oft stillgelegt ist. Auch Brokkoli hat epigenetisch gesehen einen positiven Effekt. Als vorteilhaft für die Gene gilt außerdem die „Kreta“-Ernährung: Diese besteht aus reichlich frischem Obst und Gemüse, wenig Getreide, Hülsenfrüchten, Fisch und pflanzlichen Ölen. Viel Fett und Kohlenhydrate sollten den Genen zuliebe gemieden werden. Interessanterweise kann auch das Darmmikrobioms des Menschen seinen epigenetischen Status beeinflussen [6].

Auch wenn unser Wissen über Epigenetik und Ernährung zum Großteil aus Tierversuchen stammt und beim Menschen darüber noch relativ wenig bekannt ist: Falsche Ernährung kann vermutlich unser Erbgut dahingehend verändern, dass das Risiko für bestimmte Erkrankungen steigt [7]. Da sich unsere Essgewohnheiten im Erbgut niederschlagen, sollten auch werdende Eltern auf ihre Ernährung achten: Durch ihre Essgewohnheiten stellen sie wahrscheinlich auch die Weichen für die Entwicklung ihrer Kinder.

 

Ein großes Dankeschön an Univ.-Prof. Mag. Dr. Gerda Egger für das Gegenlesen dieses Beitrags!

Der Artikel entstand auf Grundlage ihres Vortrags "Sport und Epigenetik", den sie im Rahmen einer Lehrer*innenfortbildung von Open Science und der PH Wien am 9.11.2022 hielt.

as, 29.12.2022


Quellenangaben

[1] Varillas-Delgado D., Del Coso J., Gutiérrez-Hellín J.: Genetics and sports performance: the present and future in the identification of talent for sports based on DNA testing. Eur J Appl Physiol. 2022 Aug;122(8):1811-1830. doi: 10.1007/s00421-022-04945-z. Epub 2022 Apr 16. PMID: 35428907; PMCID: PMC9012664.

[2] Heritage Family Study, abgefragt am 29.12.2022

[3] Seaborne RA, Strauss J., Cocks M. et al. Human Skeletal Muscle Possesses an Epigenetic Memory of Hypertrophy. Sci Rep 8, 1898 (2018).

[4] Northstone K., Lewcock M., Groom A. et al.: The Avon Longitudinal Study of Parents and Children (ALSPAC): an update on the enrolled sample of index children in 2019. Wellcome Open Res. 2019 Mar 14;4:51. doi: 10.12688/wellcomeopenres.15132.1. PMID: 31020050; PMCID: PMC6464058.

[5] Smith JAH, Kohn TA, Chetty AK and Ojuka EO: CaMK activation during exercise is required for histone hyperacetylation and MEF2A binding at the MEF2 site on the Glut4 gene. September 2008AJP Endocrinology and Metabolism 295(3): E698-704. DOI:10.1152/ajpendo.00747.2007

[6] Krautkramer KA, et al. Diet-microbiota interactions mediate global epigenetic programming in multiple host tissues. Mol. Cell. 2016;64:982–992. doi: 10.1016/j.molcel.2016.10.025.

[7] Skinner M., Lumey LH, Fleming TP et al.: The Effect of Nutrition on Epigenetic Status, Growth, and Health. JPEN J Parenter Enteral Nutr. 2019 Jul;43(5):627-637. doi: 10.1002/jpen.1536. Epub 2019 Apr 17. PMID: 30997688; PMCID: PMC6625918.