Epigenetik 2: Welche Mechanismen unsere Gene kontrollieren

Durch chemische Veränderungen der DNA und der mit ihr assoziierten Histon-Proteine kann die Genaktivität reguliert werden, Bild: MethylC5, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons

Das geregelte An- und Abschalten von Genen ist sowohl während der Entwicklung eines Organismus als auch als Reaktion auf Umwelteinflüsse wichtig. Doch was bestimmt, ob unsere Gene abgelesen werden oder nicht? Die Genregulation erfolgt durch so genannte epigenetische Kontrollmechanismen – reversible chemische Veränderungen der DNA und der mit ihr assoziierten Proteine, welche die Sequenz der DNA nicht verändern. Ein kurzer Überblick zur Funktion und den molekularen Grundlagen epigenetischer Kontrolle beim Menschen.

Schätzungen gehen davon aus, dass der Mensch auf seiner DNA rund 21.000 protein-kodierende Gene besitzt. So werden jene Regionen im Genom bezeichnet, die in RNA transkribiert und in Protein übersetzt werden. Man geht davon aus, dass sich ebenso viele nicht-kodierende Gene im menschlichen Genom befinden. Diese erfüllen auch wichtige Funktionen und beinhalten die Information für funktionelle RNA-Moleküle [1,2]. Sowohl protein-kodierende als auch nicht-kodierende Gene können gezielt an- und abgeschaltet werden, sind also nicht immer aktiv. Ob und wann ein Gen ausgelesen wird, ist streng reguliert. So etwa werden bestimmte Gene während der Embryonalentwicklung in richtigen Wellen angeschaltet und danach wieder stillgelegt [3]. Und in den Zellen der verschiedenen Organe unseres Körpers sind nicht immer alle, sondern nur jene Gene aktiv, die die Zelle benötigt, um ihre Funktion zu erfüllen bzw. um auf Einflüsse von außen zu reagieren.

Verpackungsgrad bestimmt Zugänglichkeit der DNA

In unseren Zellen liegt das Erbmaterial nicht lose im Zellkern vor, sondern ist mit speziellen Proteinen, den so genannten Histonen, assoziiert und dicht verpackt. Gemeinsam bilden die DNA und die Histone sowie weitere spezielle Proteine das so genannte Chromatin (siehe auch unser Artikel "Wie passen zwei Meter DNA in eine Zelle?"). Ob DNA besser oder schlechter für Proteine zugänglich ist und abgelesen werden kann, bestimmt ihr Verpackungsgrad. Dieser wird auch zur Einteilung in „Heterochromatin“ und „Euchromatin“ herangezogen: Als Heterochromatin wird dicht gepacktes Chromatin mit geringer Transkription bezeichnet, das hauptsächlich in DNA-Bereichen ohne aktive Gene vorliegt. Bei Euchromatin hingegen handelt es sich um aufgelockertes Chromatin. Euchromatin ist für Proteine – wie zum Beispiel die Transkriptions-Maschinerie der Zelle – leichter zugänglich und korreliert daher mit aktiven Genen und Transkription (siehe Abbildung 1).

Für das Komprimieren der DNA in unseren Zellen spielen Histon-Proteine eine wichtige Rolle. Sie wickeln DNA wie eine Spule auf und verdichten sie. Gene in dicht gepacktem Heterochromatin sind meist inaktiv, Gene in aufgelockertem Euchromatin aktiv, Bild: Sha, K. and Boyer, L. A. The chromatin signature of pluripotent cells (May 31, 2009), StemBook, ed. The Stem Cell Research Community, StemBook, doi/10.3824/stembook.1.45.1, http://www.stembook.org., CC BY 3.0 ,

Biochemische „Schalter“ für die Genaktivität

Im Gegensatz zu einer Mutation, also einer Veränderung des genetischen Codes, betreffen epigenetische Veränderungen (Modifikationen) – nur die „Lesbarkeit“ der DNA, nicht aber ihre Basenfolge. Außerdem sind epigenetische Veränderungen großteils reversibel und können wieder entfernt werden. Es gibt verschiedene Arten epigenetischer Kontrollmechanismen: die reversible Änderung von Histonen, die Modifikation der DNA selbst – bei gleichbleibender Sequenz – sowie RNA-gesteuerte Prozesse [4,5].

Histon-Modifikationen

Die Methylierung, Acetylierung und Phosphorylierung stellen die wichtigsten Arten der Histon-Modifikationen dar. Diese reversiblen chemischen Veränderungen betreffen bestimmte exponierte Aminosäuren der Histone (Histonschwänze). Sie können allein oder in Kombination die Eigenschaften des Chromatins ändern und somit die Zugänglichkeit der DNA regulieren: Durch Histon-Modifikationen kommt es zu einer Konformationsänderung des Chromatins, und die mit den Histonen assoziierten Gene können gar nicht, weniger bzw. stärker abgelesen werden. Da man sich Histon-Modifikationen wie eine Art Lesezeichen auf der DNA vorstellen kann, werden sie auch als molekulare „bookmarks“ bezeichnet.

Bei der Methylierung werden kleine Moleküle, sogenannten Methyl-Gruppen (-CH3) an bestimmte Aminosäuren der Histone angehängt. Je nachdem, an welcher Aminosäure diese Veränderung genau erfolgt, bewirkt die Methylierung eine dichtere oder weniger dicht Verpackung der DNA. Ähnlich verhält es sich mit der Acetylierung, dem Anbringen von Acetyl-Gruppen (–CCH₃). Auch diese chemische Veränderung resultiert in einer loseren oder stärkeren Verpackung der DNA, je nachdem, an welchen Aminosäuren der Histone die Modifikation angebracht ist. Die Histon-Phosphorylierung – das Anbringen der Phosphatgruppe (PO43-) – kann ebenfalls sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf die Zugänglichkeit der DNA haben.

Meist jedoch resultiert die Acetylierung von Histonen in einer offenen Chromatinstruktur, Euchromatin und guter Lesbarkeit der Gene. Auch eine Phoshorylierung der Histonschwänze erleichtert im Regelfall das Ablesen bestimmter DNA-Regionen. Im Gegensatz dazu führt die Methylierung von Histonen meist zu einer höheren Packungsdichte des Chromatins und der Bildung von Heterochromatin. Die Gene in diesen DNA-Regionen sind unlesbar und bleiben somit stumm.

Für die Histon-Modifikationen gibt es spezielle Enzyme, welche die Acetyl- oder Methylgruppen installieren („writers“) bzw. sie auch wieder entfernen („erasers“) (siehe Abbildung 2). Ebenso wichtig sind aber auch jene Proteine, welche die Modifikationen in weiterer Folge lesen, interpretieren und weitere Schritte einleiten („readers“). Nur durch das korrekte Zusammenspiel der writers, readers und erasers wird der epigenetische Code festgelegt und abgelesen. 

Abbildung 2: Schematische Darstellung der Histon-Methylierung und -Acetylierung sowie der Methylierung von DNA. Die Pfeile symbolisieren jene speziellen Proteine, die für das Anbringen und Entfernen der chemischen Veränderungen zuständig sind, Bild: Bernhard Kleine, CC BY-SA 3.0 DE , via Wikimedia Commons

Methylierung von DNA

Auch die Methylierung der DNA an bestimmten Basen ist ein regulatorischer Prozess, welcher die Aktivität von Genen steuert [4]. Diese chemische Veränderung beeinflusst zwar die Eigenschaften der DNA und ihre Lesbarkeit, verändert ihre Sequenz dabei jedoch nicht. Die DNA in hypermethylierten – also übermäßiger methylierten – Bereichen ist stark kondensiert, und die Gene darauf sind stillgelegt. Gene auf hypomethylierten DNA-Regionen hingegen – also mit verringerter oder fehlender Methylierung – sind besser zugänglich und aktiv. Auch die Methylierung von DNA erfolgt durch spezielle Proteine (siehe Abbildung 2). Auch für das Anbringen, Entfernen und Lesen der DNA-Modifikationen gibt es readers, writers und erasers.

RNA-gesteuerte epigenetische Regulation

Die Genregulation über nicht-kodierende RNA-Moleküle (ncRNAs) stellt einen weiteren epigenetischen Kontrollmechanismus dar [5]. So etwa führt die so genannte RNA-Interferenz (RNAi) zum zielgerichteten Abschalten von Genen (= gene silencing). Das Prinzip dahinter ist folgendes:  Die RNA spezieller nicht-kodierender Gene dient nicht als Vorlage für ein Protein, sondern als negativer Regulator der Genexpression. Die RNA interferiert mit der Proteinbiosynthese des kontrollierten Gens, indem es die dafür kodierende mRNA blockiert oder zu deren Abbau führt. In weiterer Folge entsteht kein oder weniger Protein. Auch die RNA selbst kann von speziellen Proteinen chemisch verändert werden und so epigenetische Prozesse steuern [6].

Wichtiger Forschungszweig

Die Epigenetik hat im Laufe der letzten Jahrzehnte enorm an Bedeutung gewonnen und ist Gegenstand intensiver Forschung. Dies spiegelt sich auch in den zahlreichen nationalen und internationalen Forschungsprogrammen zu dieser Thematik wider. Epigenetische Veränderungen können durch verschiedenste Faktoren induziert werden, wie beispielsweise Alter, Ernährung, Rauchen oder Stress. Auch bei bestimmten Erkrankungen spielen epigenetische Prozesse eine wichtige Rolle (siehe Abbildung 4). Daher ist es wichtig, die molekularen Mechanismen epigenetischer Kontrolle zu verstehen. Wissenschaft und Medizin setzen große Hoffnung in diesen spannenden Forschungszweig.

Epigenetische Mechanismen spielen während der Entwicklung eine große Rolle und unterliegen auch danach verschiedenen Einflussfaktoren aus der Umwelt. Auch bestimmte Erkrankungen korrelieren mit epigenetischen Veränderungen , Bild: National Institutes of Health, Public domain, via Wikimedia Commons

as, 09.11.2022


Quellenangaben

[1] Willyard C. New human gene tally reignites debate. Nature. 2018 Jun;558(7710):354-355. doi: 10.1038/d41586-018-05462-w. PMID: 29921859.

[2] McElvery R., MIT: An “oracle” for predicting the evolution of gene regulation (2022). MIT News March 11, 2022.

[3] Gopinathan G., Diekwisch TGH: Epigenetics and Early Development (2022). J Dev Biol. 2022 Jun 16;10(2):26. doi: 10.3390/jdb10020026. PMID: 35735917; PMCID: PMC9225096.

[4] Al Aboud NM, Tupper C., Jialal I.: Genetics, Epigenetic Mechanism (2022). 2022 Aug 8. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2022 Jan–. PMID: 30422591.

[5] Holoch D, Moazed D. RNA-mediated epigenetic regulation of gene expression. Nat Rev Genet. 2015 Feb;16(2):71-84. doi: 10.1038/nrg3863. Epub 2015 Jan 2. PMID: 25554358; PMCID: PMC4376354.

[6] Liu N., Pan T.: RNA epigenetics (2015). Transl Res. 2015 Jan;165(1):28-35. doi: 10.1016/j.trsl.2014.04.003. Epub 2014 Apr 8. PMID: 24768686; PMCID: PMC4190089.