Zelleigene Müllabfuhr gegen Krebs

, Bild: Pixabay, CC0

Der Biochemiker James Bradner regt mit seinem unkonventionellen Ansatz zu Open-Source derzeit zum großen Umdenken in der Forschung an.


Vortrag vom Pionier der offenen Forschung in Wien

Bradner war für mehr als ein Jahrzehnt in der Forschung an der Harvard Universität tätig. Heute leitet er die Instititutes of Biomedical Research (NIBR) für den Pharmariesen Novartis. Bei seinem Besuch im Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) in Wien anlässlich der Landsteiner Lectures sprach der charismatische US-Forscher über das Thema Meilensteine in der Medizin. Die Tageszeitung DerStandard nutzte die Gelegenheit für ein Interview mit Bradner. Hier eine kurze Zusammenfassung.


„Müllabfuhr“ der Zelle zur Beseitigung von Krebs-Proteinen

Schon 2010 schafften es Bradner und sein Team, das Wachstum von Hautkrebszellen zu stoppen. Dafür blockierten sie ein Enzym, das in der Epigenetik eine wichtige Rolle spielt, mit einem neu entwickelten Molekül.

Im Laufe des Fortschreitens einer Krebserkrankung eignen sich Krebszellen kontinuierlich neue Strategien an, um den zelleigenen Verteidigungsmechanismen zu entkommen. An dieses Wissen anknüpfend, stellten Bradner und seine Mitarbeiter  kürzlich eine außergewöhnliche Technologie vor, um krebsfördernde Proteine zu binden und so den Transport zur „Recyclinganlage“ in der Zelle zu aktivieren. Sobald diese Proteine beseitigt sind, fehlt dem Krebs ein essentielles Standbein und weiteres Wachstum wird blockiert. Diese Methode wurde 2015 in dem Top-Journal Science publiziert und zeigte sich als effektiv gegen Blutkrebs bei Mäusen.
Für die Zukunft eröffnet sich jetzt eine neue Perspektive: mit ähnlicher Herangehensweise sollen Erkrankungen, in denen die Ansammlung toxischer Proteine ausschlaggebend ist (wie z.B. neurodegeneratives Alzheimer, Parkinson oder Huntington) bekämpft werden. Der Weg zu einem klinisch testbaren Wirkstoff ist laut Bradner nur mehr ein bis zwei Jahre entfernt.


Soziales Experiment in der Wissenschaftscommunity

Bradner hat bereits im Frühstadium der Entwicklung das Protokoll zur Herstellung und Proben des Moleküls an andere Labors weitergereicht. Das ist aufgrund des hohen Konkurrenzdrucks in der Forschung eher unüblich. Mit seiner aufgeschlossenen Einstellung gegenüber der Open-Source-Strategie, Forschungsergebnisse mit anderen WissenschaftlerInnen zu teilen, um Entwicklungsfortschritte im Bereich der Medikamentenherstellung voranzutreiben, hat er so einen vielversprechenden Ansatz geschaffen. Bradner selbst bezeichnet seine offene Umgehensweise mit seinen Forschungsergebnissen als ein soziales Experiment. Tatsächlich hat sich dadurch der Forschungsfortschritt in seinem Gebiet massiv beschleunigt.
„Es ist untypisch für einen Harvard-Forscher, so etwas zu sagen, aber: Andere Leute haben vielleicht bessere Ideen“, begründet der Wissenschaftler seinen Schritt.
Dieser unkonventionelle Ansatz könnte die Entwicklung neuer Therapiemöglichkeiten beschleunigen und helfen, Hürden in der Forschung durch offenen Meinungsaustausch und rasche Lösungsvorschläge schneller zu überwinden. Bradner hofft, dass junge WissenschaftlerInnen der „Generation Social Media“ die positiven Aspekte der Open-Source-Forschung erkennen und für sich nutzen werden.


Originalartikel:

DerStandard: Novartis-Forschungschef: "Es ist ein gewaltiger Akt, Proteine zu zerstören" (26.05.2017)

Quellen:

Nature: "Selective inhibition of BET bromodomains"
Science: "Phthalimide conjugation as a strategy for in vivo target protein degradation"

Jay Bradner on Open-source cancer research, Ted-Talk 2011

 

IH, 31.05.2017