Impfen ohne Spritzen – bald möglich?

Nadeln könnten bald durch Tabletten ersetzt werden, Bild: Pixabay, CCO

Das Wiener Start-Up-Unternehmen NovoArc möchte Nadeln durch Tabletten ersetzen. Mit seiner Idee konnte es beim Best of Biotech Wettbewerb 2022 überzeugen.

Spritzen, wie wir sie heute kennen, werden bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts eingesetzt. Heute zählt das Verabreichen von Impfstoffen per Injektion zu den häufigsten medizinischen Prozeduren. Und obwohl es sich dabei nur um einen kleinen Stich handelt, lösen Nadeln doch bei vielen Unbehagen aus. Spritzenangst – im Fachjargon als Trypanophobie bekannt – ist relativ weit verbreitet: Es konnte gezeigt werden, dass der Großteil der Kinder Angst vor Spritzen hat. Bei Jugendlichen sind es noch bis zu einem Drittel, und bei Erwachsenen sinkt der Prozentsatz dann mit dem Alter [1]. Daher ist die Aufnahme von Medikamenten über den Mund schon lange von Interesse.

Stabilisierende Außenhülle für orale Aufnahme

Doch die orale Verabreichung pharmazeutischer Wirkstoffe ist oft schwierig, da viele einfach nicht stabil genug sind, um ihren Zielort zu erreichen: Die Magensäure kann sie beim Schlucken zersetzen oder dafür sorgen, dass sie durch den Darm wandern, ohne vom Körper effizient aufgenommen zu werden. Oral eingenommene Arzneimittel werden nur in sehr geringen Mengen vom Darm aufgenommen. Sie haben generell eine niedrige Bioverfügbarkeit – so wird der prozentuale Anteil eines Wirkstoffes bezeichnet, der unverändert im Blutkreislauf zur Verfügung steht. Über den Mund verabreichte Arzneimittel müssen daher hoch dosiert werden, was wiederum lokal zu Komplikationen wie beispielsweise einer irritierten Darmflora führen kann. Aus diesen Gründen sind heute in vielen Fällen noch Injektionen notwendig.

Bei dieser Problematik setzten die drei TU-Mitarbeiter David Wurm, Julian Quehenberger und Oliver Spadiut im Jahr 2021 mit der Gründung ihres BioTech-Unternehmens NovoArc an: Ziel des Start-Ups ist es, oral eingenommene Arzneimittel widerstandsfähiger zu machen und deren Aufnahme zu erleichtern.

Für eine Gesundheit ohne Nadeln tüfteln die drei Unternehmensgründer an einer passenden Verpackung für Medikamente. Sie setzen dabei auf eine spezielle, hochstabile Hülle aus Lipiden – eine Klasse wasserunlöslicher Fette. Gut verpackt sollen Wirkstoffe den Magen unbeschädigt passieren und besser vom Körper aufgenommen werden, so die Idee dahinter. Diese wurde von Beginn an auch von anderen als so vielversprechend empfunden, dass NovoArc bald nach seiner Gründung an der TU Wien zwei finanzstarke und bestens vernetzte Investoren als Partner gewinnen konnte.

Archaeen: Extreme Mikroorganismen mit „perfekter Hülle“

Vor ihrer Unternehmensgründung arbeiteten Wurm, Quehenberger und Spadiut mehrere Jahre an der TU Wien. Sie beschäftigten sich mit thermoacidophilen Archaeen – speziellen Mikroorganismen, die weltweit nur von sehr wenigen Arbeitsgruppen erforscht werden. Dabei handelt es sich um Kleinstlebewesen, die wahre Überlebenskünstler sind: Sie gedeihen unter extremen Bedingungen – einem pH-Wert von 2 und Temperaturen von 80 °C – besonders gut. Diese Mikroorganismen kommen beispielsweise in heißen Quellen vor und lassen sich nur schwer kontrolliert im Labor züchten.

Was die Archaeen so besonders macht und sie unter Extrembedingungen überleben lässt, ist ihre einzigartige Lipidhülle, eine aus Fett-Molekülen bestehende Schicht. Aus ihr lassen sich spezielle Liposomen herstellen, die als Archaeosomen bezeichnet werden. Liposomen sind mikroskopisch kleine Vesikel (Bläschen), die aus einer oder mehreren Lipiddoppelschichten (Membranen) bestehen. Im Inneren liegt ein wässeriger Kern. Liposomen werden zum Umhüllen von Medikamenten verwendet, um diese vor dem Abbau zu schützen oder sie an bestimmte Zielorte im Körper zu dirigieren. Prominente Beispiele sind die in Liposomen verpackten SARS-CoV-2-mRNA-Vakzine von Pfizer-BioNTech und Moderna.

Unterschiedliche Formen von Phospholipiden in wässrigen Lösungen. Die Kreise sind hydrophile Köpfe und die gewellten Linien sind die hydrophoben Fettsäureketten. Mizellen besitzen eine einfache Lipidschicht, Bild: Phospholipids_aqueous_solution_structures.svg: User:LadyofHatsderivative work: Matt, Public domain, via Wikimedia Commons

Da konventionelle Liposomen allerdings nicht sehr stabil sind, können sie nicht für orale Zwecke angewandt werden. Archaeosomen jedoch bestehen aus hochstabilen Lipiden, die ihren Inhalt gegen niedrige pH-Werte, hohe Temperatur, Oxidation und Gallensalze (Bestandteile der Gallenflüssigkeit) resistent machen. Säuren können ihnen somit nichts anhaben, und sie können bei Raumtemperatur gelagert werden. Diese Eigenschaften machen Archaeosomen zur idealen Schutzhülle für die orale Verabreichung von pharmazeutischen Wirkstoffen. Auch im menschlichen Darm sind gewisse Archaeen mit diesen Lipiden zu finden.

Freisetzung von Wirkstoffen erst im Darm

Die Idee der Archaeosomen-Schutzhülle an sich ist nicht neu. Es konnte bereits gezeigt werden, dass diese spezielle Verpackung Wirkstoffe wie beispielsweise Insulin oder Antibiotika im Magen vor dem Abbau schützt und sie besser an den Zielort im Körper bringt. Bisher war man jedoch nicht in der Lage, Archaeen kontrolliert und in größeren Mengen zu züchten, weshalb die „perfekte Hülle“ noch keinen Einzug in die Pharmaindustrie fand.

Während ihrer Zeit an der TU konnten Wurm, Quehenberger und Spadiut jedoch in jahrelanger Forschungsarbeit einen Prozess entwickeln, der eben das ermöglicht: das effiziente Kultivieren von Archaeen mit hohen Ausbeuten. Ein entsprechendes Patent wurde eingereicht, und NovoArc wurde gegründet. Das Jungunternehmen war bei in vivo Versuchen mit Archaeosomen-verpackten Wirkstoffen bereits erfolgreich: Die kleinen Archaeen-Vesikel konnten sicher den Magen passieren, und ihre Inhalte wurden im Darm aufgenommen.

Ein weiterer Vorteil der neuen Technologie ist die vergleichsweise einfache Lagerung: Die hohe Stabilität der schützenden Archaeosomen erlaubt eine Lagerung der damit umhüllten Pharmazeutika bei Raumtemperatur. Dies soll vor allem Patient*innen in abgelegenen Gebieten und im globalen Süden zugutekommen.

Pille statt Nadeln – bald am Pharmamarkt?

Nach den ersten erfolgreichen in vivo Ergebnissen mit Archaeosomen stehen die Chancen gut, dass die von NovoArc produzierten Hüllen auch in den Pharma-Markt Einzug halten wird. Zuvor gilt es allerdings noch abzuklären, wie die speziellen Lipide genau verstoffwechselt und ausgeschieden werden. Die Finanzierung für die nächsten Schritte ist jedenfalls gesichert: NovoArc erhielt eine PreSeed-Förderung des BMDW in der Höhe von 200.000 Euro. Diese finanzielle Unterstützung hilft innovativen Technologieunternehmen bei der Vorgründung, Gründung und erstem Wachstum. Die Jungunternehmer planen damit unter anderem den Bau einer eigenen Produktionsanlage.   

Mit ihrer innovativen Idee konnten Wurm, Quehenberger und Spadiut außerdem beim Wettbewerb „Best of Biotech (BOB)“ 2022 überzeugen: Hier waren sie die Gewinner der „Start-up Track“-Kategorie Biotech/Pharma.

as, 29.12.2022


Quellenangaben

[1] McLenon J, Rogers MAM. The fear of needles: A systematic review and meta-analysis. J Adv Nurs. 2019 Jan;75(1):30-42. doi: 10.1111/jan.13818. Epub 2018 Sep 11. PMID: 30109720.

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