Alternative zu Antibiotika: Viren und Proteine, die Bakterien töten

Bakteriophage

Bakertiophage, Bild: Pixabay, CCO

Das im Jahr 2017 gegründete Wiener Unternehmen PhagoMed iefert einen Lösungsansatz zum Problem der steigenden Antibiotikaresistenzen: Spezielle Viren, die Bakterien töten, und deren Proteine sollen beim Kampf gegen Infektionen eingesetzt werden.

Viren – besser als ihr Ruf

Viren sind infektiöse organische Strukturen, die sich nur mit Hilfe geeigneter Wirtszellen vermehren können. Nach ihrer Entdeckung gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurden Viren lange Zeit lediglich als Krankheitserreger von Tieren und Pflanzen angesehen. Auch heute haben sie noch einen schlechten Ruf und werden meist mit Krankheiten in Verbindung gebracht.

Doch Viren sind viel mehr als nur das: Sie kommen überall vor und wurden mittlerweile als die am häufigsten vorkommenden biologischen Einheiten auf der Erde identifiziert. Sie haben die Evolution im Laufe der Geschichte entscheidend vorangetrieben und uns genau genommen erst zu dem gemacht, was wir heute sind: Ein Teil unserer DNA besteht auch aus viralem Erbmaterial, da sich Wirtszellen dieses im Lauf der Evolution angeeignet haben. Einige ursprünglich von Viren eingeschleuste Gene erfüllen heute im Menschen wichtige Funktionen. Es wird vermutet, dass Viren, die sich schnell weiterentwickeln, die Haupt-Quelle für neue Gene in unserer Biosphäre darstellen, daher spielen sie eine wichtige Rolle in der belebten Natur.

Phagen und ihre Produkte als Therapieansatz gegen Infektionen

Als Bakteriophagen oder kurz Phagen bezeichnet man verschiedene Gruppen von Viren, die sich ausschließlich in Bakterien vermehren. Phagen sind auf bestimmte Bakterien als Wirtszellen spezialisiert, infizieren diese, vermehren sich darin und zerstören sie dann. So etwa befallen manche Phagen nur Coli-Bakterien, während andere Phagen-Typen Salmonellen oder Staphylokokken als Wirt nutzen.

Die Spezifität für bestimmte Bakterien macht Phagen auch für die Gentechnologie interessant. Sie stellen bereits seit längerer Zeit im Kampf gegen bakterielle Infektionen eine denkbare Alternative zu Antibiotika dar. Bereits seit den 1920er Jahren kommt die „Phagentherapie“ zum Einsatz und wurde in ihren Anfängen vor allem in Ländern der früheren Sowjetunion entwickelt und angewandt.  Die Phagentherapie konnte sich jedoch nie durchsetzen, da sie im Vergleich zu Antibiotika einen entscheidenden Nachteil hat: Phagen sind hochspezifisch und bekämpfen nur eine Bakterienart oder sogar nur einen einzigen Bakterienstamm. Bei Infektionen kann so wertvolle Zeit verloren gehen, um den genauen Erreger zu bestimmen und den passenden Phagen zu finden. Antibiotika hingegen haben ein breites Wirkungsspektrum und wirken sofort.

Mit der weltweit steigenden Antibiotikaresistenzen sind Phagen und deren Produkte jedoch wieder ins Rampenlicht gerückt. Potenzielle Anwendungen dafür gibt es in der Humanmedizin, Zahnmedizin, Tiermedizin, Landwirtschaft und Lebensmittelsicherheit.

Problem Antibiotikaresistenzen

Für die Therapie bakterieller Infektionen kann man heutzutage auf zahlreiche Antibiotika zurückgreifen. Diese haben zweifelsohne schon viele Leben gerettet und können beispielsweise Lungenentzündung heilen, gegen die es früher kein Mittel gab.

Doch die Anwendung von Antibiotika bringt auch ihre Schattenseiten mit sich: Durch einen zu häufigen und fehlerhaften Einsatz von Antibiotika werden immer mehr Bakterienstämme dagegen resistent – also unempfindlich. Sie sterben durch eine Antibiotika-Behandlung nicht mehr ab bzw. ihr Wachstum wird dadurch nicht mehr gehemmt, man spricht dann von einer Antibiotika-Resistenz. Sind Bakterien unempfindlich gegenüber mehreren Antibiotika, spricht man von multiresistenten Erregern. Vor allem in Krankenhäusern stellen Antibiotikaresistenzen mittlerweile ein großes Problem dar. Der multi- oder methicillinresistente Staphylococcus aureus (kurz MRSA) ist ein bekanntes Beispiel für einen gefährlichen, multiresistenten Krankenhauskeim.

Allein im Jahr 2015 starben in der EU fast 33.000 Menschen an Keimen, die auf Antibiotika nicht mehr ansprechen. Außerdem leiden viele PatientInnen an chronischen bakteriellen Infektionen, bei denen Antibiotika nicht helfen.

PhagoMed: Phagen und rekombinante Phagen-Proteine als Alternative zu Antibiotika

Das Wiener Start-Up PhagoMed Biopharma GmbH setzte bei seiner Gründung auf natürliche Bakterien-Killer. Seit 2017 entwickelt das Jungunternehmen Phagen-basierte Arzneimittel zur Behandlung von multiresistenten bakteriellen Infektionen und bietet damit einen möglichen Lösungsansatz zum Problem der Antibiotikaresistenzen.

Bald nach der Aufnahme seiner Forschungsaktivitäten im Jahr 2018 startete PhagoMed mit dem Validieren erster Phagen-basierter Arzneimittelkandidaten. Dabei wurde einerseits die Wirkung von Phagen selbst bei bakteriellen Infektionen untersucht, aber auch die von rekombinant hergestellten Phagen-Proteinen.

Phagen zur Therapie entzündeter künstlicher Gelenke

Einer der Schwerpunkte des Jungunternehmens war die Behandlung von bakteriellen Infektionen künstlicher Gelenke. Ein Beispiel dafür sind etwa Hüftprothesen, die millionenfach eingesetzt werden. Zu Infektionen kann es einerseits kommen, wenn bei der Operation oder während der Wundheilung Bakterien eingeschleppt werden. Es können sich aber auch Bakterien aus einem anderen Bereich des Körpers ausbreiten und über die Blutbahn zur Prothese gelangen.

Da Infektionen hier häufig von multiresistenten Bakterien verursacht werden, ist eine Behandlung oft schwierig. Auf der Oberfläche von Prothesen bildet sich außerdem häufig ein Schleimfilm (Biofilm) aus Bakterien, der die Wirkung von Antibiotika noch zusätzlich erschwert. Phagen hingegen sind in der Lage, bakterielle Biofilme abzubauen und dabei die multiresistenten Bakterien abzutöten.

Lysine gegen bakterielle Vaginose

Der Fokus von PhagoMed liegt aktuell auf der Heilung von Vaginalinfekten ohne den Einsatz von Antibiotika. Weltweit leiden zwischen 10% und 30% aller Frauen an bakterieller Vaginose, die damit die häufigste vaginale Infektion und einen der häufigsten Gründe für das Verschreiben von Antibiotika darstellt.

Um die bakterielle Vaginose zu bekämpfen und das vaginale Mikrobiom zu stabilisieren, setzt das Jungunternehmen auf Phagen-Lysine statt Antibiotika. Lysine sind spezielle Phagen-Proteine, die gezielt die Zellwand von Bakterien angreifen, löchrig machen und so die Erreger zerstören. Der Vorteil von Lysinen ist einerseits deren hohe Spezifität: Diese Proteine wirken gezielt und greifen nur die krankheitsverursachenden Bakterien an, ohne das gesunde Mikrobiom zu zerstören. Andererseits sind Lysine sehr attraktiv für Forschung und Entwicklung, da sie auch auf antibiotikaresistente Bakterien wirken.

Erste klinische Studien mit den Lysinen gegen bakterielle Vaginose sind für 2023 geplant.  

Auszeichnungen und Übernahme durch BioNTech

PhagoMed ist ein gutes Beispiel für eine erfolgreiche Unternehmensgründung in Österreich, die auf Top-Forschung und Innovation beruht. Das Jungunternehmen konnte von Anfang an mit seiner Idee der Phagentherapie überzeugen: Seit seiner Gründung im Jahr 2017 reichte PhagoMed vier Patente ein und warb mehr als 6,5 Millionen Euro an privaten Investments und öffentlichen Förderungen ein. Außerdem wurde Phagomed für seine Leistungen bereits mit mehreren Auszeichnungen geehrt, darunter beispielsweise der österreichische Gründerpreis Phönix im Jahr 2018 oder das Health Catapult des Europäischen Instituts für Innovation & Technologie (EIT) 2020.

Auch das deutsche Biotechnologieunternehmen BioNTech wurde auf PhagoMed aufmerksam und erkannte das große Potenzial und die hohe gesundheitspolitische Relevanz der Phagen-basierten Therapie. Phagomed wurde Ende 2021 von BioNTech übernommen und wird seitdem als BioNTech R&D (Austria) GmbH geführt.

Die Gründer von Phagomed gehen davon aus, dass erste Phagen-basierter Arzneimittel in Europa bis etwa 2025 zugelassen werden und einen Milliardenmarkt darstellen.

 

as, 22.12.2021

This content is not available in English. However, an English translation of the About us and Vienna Open Lab section is just waiting to be discovered.