Warum Laktoseintoleranz eigentlich keine Krankheit ist

Mann greift sich mit beiden Händen an den Bauch und scheint Schmerzen zu haben

Häufig treten bei Laktoseintoleranz heftige Bauchschmerzen auf, Bild: Pixabay, CCO

Die als Laktoseintoleranz bekannte Unverträglichkeit von Milch ist bei uns weit verbreitet und kann vererbt, aber auch erworben werden. Die Ursache dafür ist ein Mangel am Enzym Laktase, welches den Milchzucker spaltet. Laktoseintoleranz stellt genau genommen keine Erkrankung, sondern den ursprünglichen Zustand beim Menschen dar.

Laktoseintoleranz liegt uns in den Genen

Milchtrinken ohne Bauchschmerzen – das ist für den Großteil der Erdbevölkerung nicht möglich. Grund dafür ist die weit verbreitete Laktoseintoleranz: Weltweit sind etwa 65 Prozent der Bevölkerung davon betroffen, wobei es hier große Unterschiede bei verschiedenen Ethnien gibt: Etwa 85 Prozent der Personen mit afroasiatischer Abstammung leiden unter Laktoseintoleranz. In Europa sind nur etwa 15 Prozent der Bevölkerung davon betroffen, wobei es hier auch deutliche regionale Unterschiede gibt und in Nordeuropa Laktose besser vertragen wird als in Südeuropa [1-3]. Die gute Verträglichkeit von Laktose im Norden Europas hängt mit der Anpassung des Menschen an Ackerbau und Viehzucht vor rund 7.500 Jahren zusammen. Nordeuropäer*innen, die Laktose verdauen konnten, hatten damals offensichtlich Überlebensvorteile, und diese Genvariation breitete sich aus. Laktoseintoleranz stellt daher genau genommen keine Erkrankung, sondern die ursprüngliche Genvariante des Menschen dar. Diese wurde aber in Europa immer seltener, und so können viele von ihnen heute aufgrund einer Genmutation beschwerdefrei Milch trinken.

Die „gefühlte“ Betroffenheit von Laktoseintoleranz ist jedoch bei uns größer als ihr tatsächliches Vorliegen. So zeigte eine Umfrage in Österreich im Jahr 2017 unter Personen, die angegeben hatten, an einer Laktoseintoleranz, Allergie oder sonstiger Unverträglichkeit von Milchprodukten zu leiden: Nur etwa die Hälfte von ihnen ließ sich die Erkrankung auch von Facharzt bzw. -ärztin, Allgemeinmediziner*in oder in einem Allergieambulatorium bestätigen, rund 40 Prozent der Betroffenen reichte die Selbstdiagnose [4]. Die Symptome einer Laktoseintoleranz können schon im Kindesalter starten, meist treten sie jedoch erstmals im Jugendlichen- und jungen Erwachsenen-Alter auf [1].

Fehlendes Enzym: Ursache von Laktoseintoleranz

Im Gegensatz zu einer Milchallergie, bei der das Immunsystem eine entscheidende Rolle spielt, erfolgt bei einer Laktoseintoleranz keine immunologische Reaktion des Körpers auf Bestandteile der Milch [5]. Bei der als Laktoseintoleranz bekannten Unverträglichkeit von Milch mangelt es dem Körper an einem bestimmten Enzym, der so genannten Laktase. Diese wird im Dünndarm gebildet und spaltet normalerweise den in der Milch vorhandenen Zweifachzucker Laktose im Darm in die beiden Einfachzucker Glukose (Traubenzucker) und Galaktose (Schleimzucker) auf. Diese können dann zunächst über ein spezielles Transporterprotein in die Zellen der Darmwand aufgenommen und anschließend an die Blutbahn abgegeben werden. Wird der Milchzucker im Dünndarm wegen Laktasemangels nicht oder nicht vollständig aufgespalten, kann er nicht über die Dünndarmschleimhaut ins Blut aufgenommen und vom Körper verwertet werden. Unverdaute Laktose gelangt so weiter in den Dickdarm. Dort wird sie von den Darmbakterien in einem Gärungsprozess zersetzt, und es entstehen vermehrt Gase und andere Abbauprodukte (Abbildung 2).

Abbildung 2: Laktoseintoleranz. Bei Laktoseintoleranz wird der Milchzucker (die Laktose) im Dünndarm nicht bzw. nicht vollständig gespalten. Ungespaltene Laktose kann nicht ins Blut aufgenommen werden und gelangt in den Dickdarm, wo sie gärt, Bild: Open Science – Lebenswissenschaften im Dialog, erstellt mit @BioRender.com

Der Gärungsprozess im Darm ist für die meisten Symptome bei der Unverträglichkeit von Laktose verantwortlich: Aufgeblähter Bauch, Völlegefühl, Unterbauchschmerzen, starke Blähungen, Durchfall, Übelkeit, Erbrechen und manchmal auch Verstopfung.

Weltweit häufigster Enzymmangel

Bei Säugetieren wird die größte Menge an Laktase kurz nach der Geburt im Dünndarm produziert, damit das Neugeborene die Muttermilch verdauen kann. Laktose das häufigste Kohlenhydrat in der Muttermilch und somit auch eine der Haupt-Energiequellen während der Stillperiode. Säugetiere verlieren generell die Fähigkeit, Laktose zu verdauen, wenn sie erwachsen werden.

Der Mensch stellt hier jedoch eine Ausnahme dar: Beim Großteil der Menschheit sinkt nach dem Abstillen die Mengen an Laktase trotz kontinuierlicher Aufnahme von Milchzucker – wie zuvor erwähnt ein natürlicher Verlauf und keine Erkrankung. Daher können rund zwei Drittel der Weltbevölkerung Laktose im Erwachsenenalter nicht verdauen [6]. Doch das übrige Drittel der Menschheit behält die Fähigkeit, Laktose zu verwerten, bei. Darunter fallen vor allem Nachkommen von Populationen, die Viehzucht betrieben haben. Beim Menschen tendieren Menschen mit Wurzeln in Südamerika, Asien und Afrika zu Laktoseintoleranz. Personen aus Nordeuropa oder Nordwestindien hingegen behalten normalerweise die Fähigkeit, Laktose zu verdauen [1].

Genetisch bedingte und erworbene Laktoseintoleranz

Bei der Unverträglichkeit von Milchzucker unterscheidet man prinzipiell zwei verschiedene Formen: die primäre und die sekundäre Laktoseintoleranz.

Primäre Laktoseintoleranz

Die primäre adulte Form der Laktoseintoleranz ist genetisch bedingt. Sie stellt eine Form des Laktasemangels dar, bei der die Enzymaktivität langsam kontinuierlich nach dem Säuglingsalter abnimmt – ein Prozess, der meist im Jugendalter abgeschlossen ist.

Der primären adulten Laktoseintoleranz liegt ein so genannter Einzelnukleotidpolymorphismus zugrunde. Darunter versteht man den Unterschied in einer einzigen Base eines Nukleotids – also eines „Buchstabens“ – der DNA. Dieser Unterschied betrifft meistens Position -13910 – eine regulatorische Region des Laktase (LTC)-Gens – auf Chromosom 2. Es können jedoch auch noch andere Einzelnukleotidpolymorphismen in dessen regulatorischer Region auftreten [9].

An der Position -13910 des Laktase-Gens können folgende Genotypen vorliegen (siehe Abbildung 3):

  • Kommt hier die Base Thymidin auf beiden Allelen vor (T/T), gibt es keine genetische Prädisposition für Laktoseintoleranz.
  • Bei Vorliegen von Thymidin auf einem Allel und Cytosin auf dem anderen (T/C) ist nur mehr Restaktivität der Laktase vorhanden.
  • Kommt auf beiden Allelen Cytosin vor (C/C), ist dies die genetische Anlage für Laktoseintoleranz (siehe Abbildung 3). 
Abbildung 3: Mögliche Genotypen an Position -13910 des menschlichen Laktase-Gens und deren Bedeutung für das Auftreten einer Laktoseintoleranz. Abbildung 3: Mögliche Genotypen an Position -13910 des menschlichen Laktase-Gens und deren Bedeutung für das Au, Bild: Open Science – Lebenswissenschaften im Dialog (CC BY-SA-ND 3.0 AT)

Wie bereits beschrieben, stellt der Genotyp CC an Position -13910 des Laktase-Gens und das damit verbundene Auftreten einer Laktoseintoleranz keine Erkrankung, sondern die normale genetische Variante des menschlichen Metabolismus dar.

In Populationen, die intensiv Milchwirtschaft betrieben, kam es vor ca. 7500 Jahren zu Veränderungen des Genmaterials: Es entstanden schützende Mutationen und Genvarianten, die es den Träger*innen sicherten, das Enzym ein Leben lang weiter zu produzieren und Milchprodukte weiterhin beschwerdefrei verzehren zu können. Man spricht von Laktasepersistenz.

Zur primären Form der Laktoseintoleranz zählen außerdem noch der entwicklungsbedingte Laktasemangel bei Frühgeburten sowie der kongenitale (angeborene) Laktasemangel, eine autosomal-rezessive Erbkrankheit – beide kommen jedoch selten vor [7].

Weltweit macht die primäre Laktoseintoleranz den größten Anteil aus: In Afrika, Südamerika und Asien sind etwa 60 bis 100 % von einer primären Laktoseintoleranz betroffen, während es in Nordamerika und Europa zwischen 5 und 40 % sind [7, 8]. Die primäre Laktoseintoleranz ist nicht therapierbar und kann nur durch die Vermeidung der laktosehaltigen Lebensmittel oder durch die Einnahme von Laktase-Präparaten beeinflusst werden. Die Wirkung von Laktase-Präparaten, die man bei Laktoseunverträglichkeit einnehmen kann, ist umstritten [9].

Sekundäre Laktoseintoleranz

Bei der sekundären oder erworbenen Laktoseintoleranz hingegen handelt es sich um die Folge einer Schädigung des Dünndarms. Sie kann durch verschiedene Darmerkrankungen oder nach Operationen im Magen-Darm-Trakt auftreten. Wird sie als solche erkannt, kann sie therapiert werden. Regeneriert sich die Dünndarmschleimhaut wieder, kann die Produktion von Laktase wieder gesteigert werden, und laktosehaltige Produkte sind wieder besser und in größeren Mengen verträglich.

Diagnose

Bei Empfindlichkeit und schwerer Verdaulichkeit von Milch und Milchprodukten und dem Auftreten der oben genannten Symptome könnte eine Laktoseintoleranz dahinterstecken. Es könnte allerdings auch ein anderes Problem wie beispielsweise eine Milchallergie dafür verantwortlich sein. Liegt eine Milchallergie vor, reagiert der Körper schon auf geringste Mengen von Milch oder Milchprodukten, während bei einer Laktoseintoleranz bestimmte Mengen an Milchzucker ohne Beschwerden konsumiert werden können.

Ob jemand wirklich an einer Laktoseintoleranz leidet, können nur Arzt oder Ärztin mittels Atem- oder Bluttests feststellen. Dazu wird dem Patienten bzw. der Patientin eine bestimmte Menge an Laktose verabreicht und anschließend in regelmäßigen Abständen Blut- oder Atemwerte kontrolliert. Die primäre Laktoseintoleranz kann auch über einen Gentest nachgewiesen werden.

as, 16.03.2023


Quellenangaben

[1] Malik TF, Panuganti KK. Lactose Intolerance (2022) May 16, StatPearls, Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2022 Jan–. PMID: 30335318.

[2] Bayless TM, Brown E, Paige DM. Lactase Non-persistence and Lactose Intolerance. Curr Gastroenterol Rep. 2017 May;19(5):23. [PubMed]

[3] Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs: Laktoseintoleranz. Abgerufen am 28.11.2022

[4] Statista Research Department, 21.01.2022: Unverträglichkeit, Intoleranz oder Allergie gegenüber Laktose in Österreich 2017

[5] Gargano D., Appanna R., Santonicola A. et al.: Food Allergy and Intolerance: A Narrative Review on Nutritional Concerns (2021). Nutrients. 2021 May 13;13(5):1638. doi: 10.3390/nu13051638. PMID: 34068047; PMCID: PMC8152468.

[6] Ségurel L., Bon C: On the Evolution of Lactase Persistence in Humans (2017). Annu. Rev. Genom. Hum. Genet. 2017; 18:297–319. doi: 10.1146/annurev-genom-091416-035340

[7] Misselwitz B, Butter M, Verbeke K, Fox MR. Update on lactose malabsorption and intolerance: pathogenesis, diagnosis and clinical management. Gut. 2019 Nov;68(11):2080-2091. doi: 10.1136/gutjnl-2019-318404. Epub 2019 Aug 19. PMID: 31427404; PMCID: PMC6839734.

[8] Anguita-Ruiz A., Aguilera CM, Gil Á.: Genetics of Lactose Intolerance: An Updated Review and Online Interactive World Maps of Phenotype and Genotype Frequencies (2020). Nutrients. 2020 Sep 3;12(9):2689. doi: 10.3390/nu12092689. PMID: 32899182; PMCID: PMC7551416.

[9] Medizin transparent: Laktoseintoleranz: Besser mit Laktase-Tabletten? Letzte Überarbeitung am 26. 8. 2021